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BENEDIKT XVI.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 10. August 2005

Lesung: Psalm 131

1 Der Frieden in Gott [Ein Wallfahrtslied.] Herr, mein Herz ist nicht stolz, nicht hochmütig blicken meine Augen. Ich gehe nicht um mit Dingen, die mir zu wunderbar und zu hoch sind.
2 Ich ließ meine Seele ruhig werden und still; wie ein kleines Kind bei der Mutter ist meine Seele still in mir.
3 Israel, harre auf den Herrn von nun an bis in Ewigkeit!

 

Psalm 131
Auf Gott vertrauen wie ein Kind auf die Mutter

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Wir haben nur wenige Worte aus Psalm 131 gehört, im hebräischen Original sind es ungefähr dreißig. Und doch sind es bedeutungsreiche Worte, die ein Thema behandeln, das in der gesamten religiösen Literatur einen hohen Stellenwert einnimmt: die geistliche Kindschaft. Dabei denken wir spontan an die heilige Theresia von Lisieux, an ihren »kleinen Weg«, an ihr »Kleinsein «, um »in den Armen Jesu zu ruhen« (vgl. Manuskript »C«, 2r–3v: Opere complete, Città del Vaticano 1997, S. 235f.).

In der Tat wird im mittleren Teil des Psalms das Bild der Mutter mit ihrem Kind verwendet, Zeichen der zärtlichen und mütterlichen Liebe Gottes, zu der sich bereits der Prophet Hosea geäußert hatte: »Als Israel jung war, gewann ich ihn lieb… Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe« (Hos 11,1.4).

2. Zu Beginn des Psalms wird eine innere Haltung beschrieben, die dem Kindsein entgegengesetzt ist, das sich seiner eigenen Schwäche bewußt ist, aber mit Zuversicht auf die Hilfe der anderen baut. Im Psalm ist stattdessen die Rede vom stolzen Herzen, vom hochmütigen Blick und von Dingen, die zu wunderbar und zu hoch sind (vgl. Ps 131,1). Es ist der hochmütige Mensch, der charakterisiert wird durch hebräische Wörter, die für »Hochmut« und »Überheblichkeit« stehen, also für die anmaßende Haltung jener, die auf ihre Mitmenschen mit einem Gefühl der Überlegenheit herabschauen und sie für minderwertig halten.

Die große Versuchung des Hochmütigen, der wie Gott sein und Gut und Böse erkennen will (vgl. Gen 3,5), wird entschlossen zurückgewiesen vom Beter, der sich für ein demütiges und ungezwungenes Vertrauen auf den einen Herrn entscheidet.

3. Damit gehen wir zum unvergeßlichen Bild der Mutter mit ihrem Kind über. Im hebräischen Original ist nicht von einem Neugeborenen die Rede, sondern von einem entwöhnten Kind (vgl. Ps 131,2). Es ist bekannt, daß im antiken Vorderen Orient das offizielle Abstillen um das dritte Lebensjahr herum erfolgte und mit einem eigenen Fest gefeiert wurde (vgl. Gen 21,8; 1 Sam 1,20–23; 2 Makk 7,27).

Das kleine Kind, von dem der Psalmist spricht, steht mit der Mutter unterdessen in einer persönlicheren und innigeren Beziehung und nicht in jenem bloßen körperlichen Kontakt, der auf dem Bedürfnis nach Nahrung beruht. Es ist eine bewußtere Bindung, auch wenn sie weiterhin unmittelbar und spontan bleibt. Dies ist das ideale Gleichnis für die wahre »Kindschaft« des Geistes, die sich Gott nicht blind und unüberlegt überantwortet, sondern ruhig und verantwortungsbewußt.

4. An dieser Stelle weitet sich das vertrauensvolle Bekenntnis des Betenden auf die gesamte Gemeinschaft aus: »Israel, harre auf den Herrn von nun an bis in Ewigkeit!« (Ps 131,3). Von dieser Hoffnung wird nun das ganze Volk erfüllt, das von Gott Sicherheit, Leben und Frieden empfängt und von der Gegenwart bis in die Zukunft fortbesteht, »von nun an bis in Ewigkeit«.

Das Gebet läßt sich leicht fortsetzen, indem wir weitere Stimmen des Psalters erklingen lassen, die vom selben Vertrauen in Gott erfüllt sind: »Von Geburt an bin ich geworfen auf dich, vom Mutterleib an bist du mein Gott« (Ps 22,11). »Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, der Herr nimmt mich auf« (Ps 27,10). »Herr, mein Gott, du bist ja meine Zuversicht, meine Hoffnung von Jugend auf. Vom Mutterleib an stütze ich mich auf dich, vom Mutterschoß an bist du mein Beschützer…« (Ps 71,5–6).

5. Dem demütigen Vertrauen steht, wie wir gesehen haben, der Hochmut entgegen. Ein christlicher Schriftsteller des 4./5. Jahrhunderts, Johannes von Cassian, belehrt die Gläubigen über die Schwere dieses Lasters, das »alle Tugenden in ihrer Gesamtheit zerstört und das nicht nur die Mittelmäßigen und Schwachen befällt, sondern vor allem jene, die sich mit dem Gebrauch ihrer Kräfte an die Spitze gestellt haben«. Und er fährt fort: »Das ist der Grund dafür, daß der selige David mit so viel Umsicht sein Herz hütet und es sogar wagt, vor Ihm, der ganz bestimmt um die Geheimnisse seines Herzens weiß, zu verkünden: ›Herr, mein Herz ist nicht stolz, nicht hochmütig blicken meine Augen. Ich gehe nicht um mit Dingen, die mir zu wunderbar und zu hoch sind‹ … Und obwohl er sehr wohl weiß, wie schwierig dieser Schutz des eigenen Herzens auch für vollkommene Menschen ist, maßt er sich nicht an, sich einzig und allein auf seine eigenen Kräfte zu stützen, sondern er fleht in seinen Gebeten den Herrn an, ihm zu helfen, damit es ihm gelinge, den Pfeilen des Feindes zu entkommen und nicht von ihnen verletzt zu werden: ›Laß mich nicht kommen unter den Fuß der Stolzen‹ (Ps 36,12)« (Le istituzioni cenobitiche, XII, 6, Abbazia di Praglia, Brasseo di Teolo – Padua 1989, S. 289).

In ähnlicher Weise ist uns von einem anonymen Wüstenvater diese Erklärung überliefert, die an Psalm 131 erinnert: »Ich habe nie über meinen Rang erhoben, um weiter oben zu sein, und Demütigungen konnten mich nie erschüttern, denn mein einziger Gedanke bestand darin: den Herrn darum zu bitten, mich vom alten Menschen zu befreien« (I Padri del deserto, Detti, Rom 1980, S. 287).


Am Beginn der heutigen Audienz steht Psalm 131. Dieses Lied vermittelt uns in nur drei Versen einprägsam, welche innere Haltung wir Menschen vor Gott einnehmen sollen: „Wie ein kleines Kind bei der Mutter" (Ps 131, 2), so ruhig kann unsere Seele bei Gott werden; denn er hebt uns an seine Wange, er neigt sich herab und gibt uns Speise (vgl. Hos 11, 4). Der Psalmist selbst lebt als Kind Gottes. Darum kann er auch am Ende seines Gebets ganz Israel dazu einladen, in allen Umständen auf den Herrn zu hoffen.

Seit Beginn des Menschengeschlechts besteht die Versuchung gegen die Gotteskindschaft in der Selbstüberschätzung. Der stolze Mensch glaubt, nicht auf Gott angewiesen zu sein. Oft müht er sich vergeblich ab, um allein mit den eigenen Kräften ans Ziel zu gelangen. Das kindliche Gottvertrauen setzt hingegen eine entschiedene Absage an den Hochmut voraus. Nur so kann unsere Seele Ruhe bei Gott finden.

***

Ganz herzlich begrüße ich die Pilger aus den deutschsprachigen Ländern. Niemand ist zu groß, um ein Kind Gottes zu sein. Sucht Euren Frieden und Euer Glück nicht zuerst in der eigenen Leistung, sondern in Gottes barmherziger Liebe. In Vorfreude auf den Weltjugendtag gehen meine Gedanken nun schon nach Köln. Begleitet auch Ihr diese große Begegnung mit Eurem Gebet. Heute wünsche ich Euch einen gesegneten Aufenthalt in Rom und erholsame Ferien!

  

 



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