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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 7. April 1982

Liebe Brüder und Schwestern!

Die heutige Begegnung fällt in die Heilige Woche, die der Mittelpunkt des Kirchenjahres ist und uns von neuem die so bedeutsamen und grundlegenden Ereignisse der von Christus vollbrachten Erlösung erleben lässt: das letzte Abendmahl, bei dem Jesus das Sakrament der Eucharistie einsetzte, mit dem er das Kreuzesopfer geheimnisvoll vorwegnahm und durch das Priestertum weitergab; das Leiden Jesu, von seiner Todesangst in Getsemani bis zur grausamen Kreuzigung und zum Tod am Kreuz; und schließlich seine glorreiche Auferstehung am Ostersonntag.

Dies sind bewegende und ergreifende Tage, erfüllt von einer besonderen Atmosphäre, die alle Christen spüren und kennen. Sie müssen daher Tage der inneren Stille sein, des intensiven Gebets und der besonderen Meditation über die erhabensten Geschehnisse der Geschichte, die die Erlösung der Menschheit kennzeichnen und unserem Dasein seine wahre Bedeutung verleihen.

So lade ich euch denn ein, diese heiligen Tage mit innerer Anteilnahme und großer Liebe mitzufeiern und an den liturgischen Funktionen teilzunehmen, damit ihr immer tiefer in den Inhalt des Glaubens eindringt und daraus Vorsätze zum echten Bemühen um ein folgerichtiges christliches Leben gewinnt. Durchschreiten wir mit der heiligen Gottesmutter die Straße des Leidens Christi und betrachten wir die Tragödie des Karfreitags im Licht des Sieges von Ostern, damit wir lernen, dass jedes Leid in der Sicht der glorreichen Auferstehung angenommen und gedeutet werden muss, und damit wir vor allem Christus begegnen, der uns geliebt und sich für uns hingegeben hat (vgl. Gal 2,20).

1. Mit dem Blick auf Christus, den Erlöser, setzen wir nun unsere Überlegungen zur Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ – nach den Worten Christi, wie sie im Matthäusevangelium überliefert sind (Mt 19,10–12) – fort.

Wenn Christus die Ehelosigkeit „um des Himmelreiches willen“ verkündet, erkennt er voll und ganz alles an, was der Schöpfer von Anbeginn erschaffen und eingesetzt hat. Dementsprechend muss jene Ehelosigkeit auf der einen Seite beweisen, dass der Mensch in seiner tiefsten Wesenheit als Mensch nicht nur „zweigestaltig“ angelegt ist, sondern auch (in dieser zweifachen Gestalt) vor Gott mit Gott „allein“ ist. Doch andererseits respektiert das, was im Ruf zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen eine Einladung zum Alleinsein für Gott bedeutet, zugleich die zweifache Gestalt des Menschseins (das heißt sein Mann- und Frausein) wie auch jene Lebensdimension der Gemeinschaft, die der Person eigen ist. Wer den Ruf zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen den Worten Gottes entsprechend richtig „erfasst“, folgt ihm und bewahrt damit die volle Wahrheit seiner Menschlichkeit, ohne dass ihm unterwegs eines der Elemente abhandenkommt, die für die Berufung der als Abbild und Gleichnis Gottes geschaffenen Person wesentlich sind. Das ist wichtig für die Idee der Ehelosigkeit, also für ihren objektiven Inhalt, der in der Lehre Christi als eine radikale Neuerung erscheint. Ebenso wichtig ist es aber auch für die Verwirklichung jenes Ideals, das heißt, die konkrete, vom Menschen getroffene Entscheidung, um des Himmelreiches willen ehelos zu leben, in ihrer Motivierung voll überzeugend zu machen.

2. Aus dem Zusammenhang des Matthäusevangeliums (Mt 19,10–12) ergibt sich hinreichend klar, dass es hier nicht darum geht, den Wert der Ehe zum Vorteil der Ehelosigkeit herabzusetzen, und schon gar nicht darum, einen Wert durch den anderen zu schmälern und zu verdunkeln. Es handelt sich vielmehr darum, ganz bewusst das „aufzugeben“, was nach dem Willen des Schöpfers im Menschen zur Ehe führt, und den Weg der Ehelosigkeit einzuschlagen, die sich vor dem konkreten Menschen – Mann oder Frau – als Ruf und Geschenk von besonderer Kraft und besonderer Bedeutung „um des Himmelreiches willen“ enthüllt. Die Worte Christi (Mt 19,11–12) gehen von dem ganzen Realismus der Lage des Menschen aus, und mit demselben Realismus führen sie ihn zu der Berufung, der er in neuer Weise – obgleich er seiner Natur nach „zweigestaltig“ angelegt bleibt (das heißt, als Mann ausgerichtet auf die Frau und als Frau ausgerichtet auf den Mann) – fähig ist, in seinem Alleinsein, das immer eine personale Dimension der zweigestaltigen Anlage ist und bleibt, eine neue und sogar erfülltere Form der zwischenmenschlichen Gemeinschaft mit den anderen zu entdecken. Diese Ausrichtung des Rufes erklärt in ganz klarer Weise der Ausdruck „um des Himmelreiches willen“. Denn die Verwirklichung dieses Reiches muss auf der Linie der echten Entfaltung des Abbildes und Gleichnisses Gottes in seiner trinitarischen Bedeutung, das heißt eben „der Koinonia“, liegen. Wenn der Mensch die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen wählt, hat er das Bewusstsein, dass er sich selbst auf diese Weise „anders“ und „vollkommener“ verwirklichen kann als in der Ehe, indem er zur „aufrichtigen Hingabe für die anderen“ wird (vgl. Gaudium et spes, Nr. 24).

3. Durch die bei Matthäus (19,11–12) wiedergegebenen Worte gibt Christus klar zu verstehen, dass dieses „Zugehen“ auf die Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen verbunden ist mit einem freiwilligen Verzicht auf die Ehe, das heißt auf den Zustand, in dem Mann und Frau (gemäß der Bedeutung, die der Schöpfer „im Anfang“ ihrer Einheit gab) durch ihr Mann- und Frausein auch durch die leibliche Vereinigung zum Geschenk füreinander werden. Die Ehelosigkeit bedeutet einen bewussten und freiwilligen Verzicht auf diese Vereinigung und auf alles, was in der umfassenden Dimension des menschlichen Lebens und Zusammenlebens mit ihr verbunden ist. Der Mensch, der auf die Ehe verzichtet, verzichtet in gleicher Weise auf die Fortpflanzung als Fundament der aus Eltern und Kindern gebildeten Familiengemeinschaft. Die Worte Christi, auf die wir uns beziehen, weisen zweifellos auf diesen ganzen Bereich des Verzichts hin, obgleich sie sich nicht bei Einzelheiten aufhalten. Und die Art und Weise, wie diese Worte ausgesprochen worden sind, lässt die Annahme zu, dass Christus die Bedeutung dieses Verzichts begreift und dass er sie nicht nur hinsichtlich der Meinungen versteht, die in der damaligen israelitischen Gesellschaft zu diesem Thema herrschten. Er begreift die Bedeutung dieses Verzichts auch in Bezug auf das Gut, das Ehe und Familie aufgrund der göttlichen Einsetzung an sich darstellen. Durch die Art und Weise, wie er die diesbezüglichen Worte verkündet, gibt er also zu verstehen, dass jenes Heraustreten aus dem Kreis des Guten, zu dem er selbst „um des Himmelreiches willen“ aufruft, mit einer gewissen Selbsthingabe verbunden ist. Dieses Heraustreten wird somit auch zum Ausgangspunkt weiterer Verzichtleistungen und freiwilliger Opfer, die unerlässlich sind, wenn die erste und grundlegende Entscheidung in der Dimension des ganzen irdischen Lebens konsequent sein soll; und nur dank solcher Konsequenz ist jene Wahl innerlich begründet und nicht widersprüchlich.

4. In dem Ruf zur Ehelosigkeit, wie er von Christus – in knappen und zugleich ganz klaren Worten – ausgesprochen wurde, zeichnen sich somit die Umrisse und zugleich der dynamische Charakter des Erlösungsgeheimnisses ab, worauf wir bereits bei früheren Gelegenheiten hingewiesen haben. Innerhalb derselben Umrisse hat Jesus bei der Bergpredigt von der Notwendigkeit gesprochen, zu wachen über die Begehrlichkeit des Leibes, über die Begierde, die mit „dem Blick“ beginnt und bereits in diesem Augenblick zum „Ehebruch im Herzen“ wird. Hinter den Worten bei Matthäus – sowohl im 19. Kapitel (Verse 11–12) als auch im 5. Kapitel (Verse 27–28) – stehen dieselbe Anthropologie und dasselbe Ethos. In der Einladung zur freiwilligen Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen werden die Perspektiven dieses Ethos erweitert: Im Blickbereich der Worte der Bergpredigt steht die Anthropologie des „geschichtlichen“ Menschen; im Blickbereich der Worte über die freiwillige Ehelosigkeit bleibt dieselbe Anthropologie im Wesentlichen bestehen, sie wird aber erleuchtet durch die Perspektive des „Himmelreiches“, das heißt also zugleich durch die künftige Anthropologie der Auferstehung. Nichtsdestoweniger tritt auf den Wegen dieser freiwilligen Ehelosigkeit im irdischen Leben aber keineswegs die Anthropologie der Auferstehung an die Stelle der Anthropologie des „geschichtlichen“ Menschen. Und gerade dieser Mensch, dieser Mensch „der Geschichte“, in dem zugleich das Erbe der dreifachen Begehrlichkeit, das Erbe der Sünde und ebenso das Erbe der Erlösung weiterbesteht, ist es jedenfalls, der die Entscheidung über die Enthaltsamkeit „um des Himmelreiches willen“ treffen muss: Diese Entscheidung muss er dadurch verwirklichen, dass er die Sündhaftigkeit seines Menschseins den Kräften unterordnet, die aus dem Geheimnis der Erlösung des Leibes quellen. Er muss das tun wie jeder andere Mensch auch, der keine solche Entscheidung trifft und dem der Weg der Ehe bleibt. Verschieden ist nur die Art der Verantwortung für das gewählte Gut, wie auch die Art des gewährten Gutes verschieden ist.

5. Hebt Christus in seiner Verkündigung etwa den höheren Wert der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen gegenüber dem der Ehe hervor? Gewiss sagt er, dass es sich dabei um eine „außergewöhnliche“, nicht „gewöhnliche“ Berufung handelt. Des Weiteren bestätigt er, dass sie besonders bedeutsam und notwendig für das Himmelreich ist. Wenn wir die Überlegenheit über die Ehe in diesem Sinne verstehen, müssen wir zugeben, dass Christus sie stillschweigend der Ehelosigkeit zuspricht: Er sagt es jedoch nicht direkt. Erst Paulus wird von denen, die sich für die Ehe entscheiden, sagen, dass sie „richtig handeln“, und von allen, die zu einem Leben in freiwilliger Enthaltsamkeit bereit sind, dass sie „besser handeln“ (vgl. 1 Kor 7,38).

6. Das ist auch die Ansicht der gesamten lehrhaften und seelsorglichen Überlieferung. Jene „Überlegenheit“ der Ehelosigkeit über die Ehe bedeutet in der echten Überlieferung der Kirche niemals eine Entwertung der Ehe oder eine Verkürzung ihres eigentlichen Wertes. Sie bedeutet zudem kein, wenn auch implizit gegebenes, Hinübergleiten in die Anschauungen des Manichäismus oder eine Unterstützung der Bewertung von Verhaltensweisen, die sich auf das manichäische Verständnis des Körpers und des Geschlechts, der Ehe und der Fortpflanzung gründen. Der echt christliche Vorrang der Jungfräulichkeit, der Ehelosigkeit, wird folgerichtig vom Motiv des Himmelreiches bestimmt. In den von Matthäus wiedergegebenen Worten Christi (Mt 19, 11–12) finden wir eine solide Grundlage, um einzig und allein diese Art der Überlegenheit zuzugeben: Wir finden dort jedoch keinerlei Grund für irgendeine Abwertung der Ehe, die auch in der Anerkennung jener Überlegenheit hätte vorhanden sein können.

Auf dieses Problem werden wir bei unserer nächsten Betrachtung noch zurückkommen.

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Liebe Brüder und Schwestern!

Mit besonderer Freude grüße ich heute wiederum die zahlreichen Pilger deutscher und niederländischer Sprache. Die Passionswoche und das Osterfest sind der Höhepunkt des ganzen liturgischen Jahres. Danken wir dem Herrn für das Geschenk unserer Erlösung, das er uns durch seinen Tod und seine Auferstehung erworben hat. Einen besonderen Willkommensgruß richte ich bei der heutigen vorösterlichen Audienz an den großen Diözesanpilgerzug der Diözese Münster unter der Leitung des hochwürdigsten Herrn Weihbischofs Demming, an die Mitglieder der Niels-Stensen-Gemeinschaft sowie an die Teilnehmer der Romwallfahrt des Bischöflichen Kleinen Seminars in Graz. Die Gnade der Versöhnung und der Frieden des gekreuzigten und auferstandenen Herrn sei mit euch allen und mit euren Lieben in der Heimat!

Unsere heutigen allgemeinen Überlegungen gelten wiederum der Berufung zur Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen. Sie ist eine außerordentliche Berufung und besagt nicht nur den Verzicht auf die eheliche Partnerschaft, sondern zugleich die Einladung zu einem Leben im Alleinsein für Gott und mit Gott. Die bewußte und freiwillige Wahl dieser Lebensform aus Liebe zu Gott und seinem Reich ist eine besondere persönliche Teilnahme am Geheimnis der Erlösung. Sie ist deshalb zuinnerst gezeichnet vom Kreuz und muß durch Verzicht und Opfer, durch die beständige Überwindung der Begehrlichkeit des Herzens und die Ganzhingabe an Gott immer wieder neu bekräftigt und gefestigt werden. Obwohl der gottgeweihte Mensch auf die menschliche Erfüllung in der Ehe verzichtet, wird er sich auch in der leiblichen Enthaltsamkeit ganzheitlich und vollmenschlich entfalten, indem er noch mehr, als es die Ehe ermöglicht, für den anderen verfügbar wird und zugleich sich selbst durch die aufrichtige Hingabe seiner selbst um so vollkommener findet. Die Ehelosigkeit überragt die Ehe nur durch die größere Liebe, die sie begründet und ermöglicht, nämlich die sich selbst vergessende Liebe ”um des Himmelreiches willen“.

Von Herzen wünsche ich euch und euren lieben Angehörigen daheim ein frohes und gnadenreiches Osterfest mit meinem besonderen Apostolischen Segen.



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