JOHANNES PAUL II.
GENERALAUDIENZ
Mittwoch, 13. November 1991
1. Die Kirche ist das Volk Gottes des Neuen Bundes, wie wir in der vorhergehenden Katechese gesehen haben. Dieses Volk Gottes hat eine universale Dimension: Dies ist heute das Thema der Katechese. Nach der Lehre des II. Vatikanischen Konzils ist „dieses messianische Volk, obwohl es tatsächlich nicht alle Menschen umfasst und gar oft als kleine Herde erscheint, für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils” (Lumen Gentium, Nr. 9). Diese Universalität der Kirche als Volk Gottes steht in enger Verbindung mit der offenbarten Wahrheit über Gott als Schöpfer all dessen, was ist, Erlöser aller Menschen, Urheber der Heiligkeit und des Lebens in allen durch die Kraft des Heiligen Geistes.
2. Wir wissen, dass der Alte Bund nur mit einem von Gott auserwählten Volk, Israel, geschlossen wurde. Aber schon im Alten Testament fehlt es nicht an Texten, die die zukünftige Universalität ankündigen. Sie wird angedeutet in der Verheißung Gottes an Abraham: „Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen” (Gen 12,3), eine Verheißung, die „allen Völkern der Erde” (Gen 18,18) gegenüber mehrmals wiederholt und auf sie ausgedehnt wurde. Andere Texte sagen aus, dass dieser universale Segen durch die Nachkommen Abrahams (Gen 22,18), Isaaks (Gen 26,4) und Jakobs (Gen 28,14) vermittelt wird. Derselbe Ausblick wird mit anderen Worten von den Propheten aufgegriffen, hauptsächlich im Buch Jesaja: „Am Ende der Tage – schreibt er – wird es geschehen: Der Berg mit dem Haus des Herrn steht fest gegründet als höchster der Berge; er überragt alle Hügel. Zu ihm strömen alle Völker. Viele Nationen machen sich auf den Weg. Sie sagen: Kommt, wir ziehen hinauf zum Berg des Herrn und zum Haus des Gottes Jakobs. Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen … Er spricht Recht im Streit der Völker, er weist viele Nationen zurecht” (Jes 2,2–4). „Der Herr der Heere wird auf diesem Berg für alle Völker ein Festmahl geben mit feinsten Speisen, ein Gelage mit erlesenen Weinen … Er zerreißt auf diesem Berg die Hülle, die alle Nationen verhüllt, und die Decke, die alle Völker bedeckt” (Jes 25,6–7). Vom Deuterojesaja stammen die Vorhersagen über den „Gottesknecht”: „Ich, der Herr, … habe dich geschaffen und dazu bestimmt, der Bund für mein Volk und das Licht für die Völker zu sein” (Jes 42,6). Bedeutsam ist auch das Buch des Jonas, wenn es die Sendung des Propheten in Ninive, über den Bereich Israels hinaus, beschreibt (vgl. Jona 4,10–11).
Diese und andere Abschnitte lassen uns verstehen, dass das auserwählte Volk des Alten Bundes eine Darstellung und eine Vorbereitung des zukünftigen Volkes Gottes war, das von weltumspannender Weite sein sollte. Deshalb wird nach Jesu Auferstehung die Frohe Botschaft vor allem Israel verkündet (Apg 2,36; 4,10).
3. Jesus Christus war der Gründer des neuen Volkes. Der greise Simeon hatte schon in ihm als Neugeborenem die Bestimmung entdeckt, „das Licht für die Völker zu sein”, entsprechend der vorgenannten Prophezeiung des Jesaja (Jes 42,6). Er öffnete den Weg der Völker zur Universalität des neuen Volkes Gottes, wie der heilige Paulus schreibt: „Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile (Juden und Heiden) und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder” (Eph 2,14). Deshalb „gibt es nicht mehr Juden und Griechen …, denn ihr alle seid ,einer’ in Christus Jesus” (Gal 3,28). Der Apostel Paulus war der Hauptbote der universalen Reichweite des neuen Volkes Gottes. Besonders aus seiner Lehre und seinem Tun, von Jesus selbst kommend, entwickelte sich in der Kirche die starke Überzeugung von der Wahrheit, dass in Jesus Christus alle, ohne Unterschied von Nation, Sprache oder Kultur, erwählt sind. Wie das II. Vatikanische Konzil sagt, ist „das messianische Volk”, das aus dem Evangelium und der Erlösung durch das Kreuz hervorgeht, eine „unzerstörbare Keimzelle” der Einheit, der Hoffnung und des Heils für das ganze Menschengeschlecht (vgl. Lumen Gentium, Nr. 9).
Die Bekräftigung dieser Universalität des Volkes Gottes im Neuen Bund trifft, um sie aus der Höhe zu erleuchten, mit den Bestrebungen und Anstrengungen zusammen, mit denen besonders die Völker unserer Zeit Einheit und Frieden suchen, indem sie vor allem im Bereich des internationalen Lebens und seiner tatkräftigen Organisationen wirken. Die Kirche muss sich in einem solch geschichtlichen Augenblick miteinbezogen fühlen, kraft ihrer Berufung und ursprünglichen Sendung.
4. Tatsächlich sagt das Konzil weiter, dass das messianische Volk, die Kirche, „von Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit gestiftet, von ihm auch als Werkzeug der Erlösung angenommen und als Licht der Welt und Salz der Erde (vgl. Mt 5,13–16) in alle Welt gesandt wird” (Lumen Gentium, Nr. 9). Diese Öffnung zur ganzen Welt, zu allen Völkern und zu allem, was menschlich ist, gehört zum Wesen der Kirche selbst. Sie geht hervor aus der Universalität der im Kreuz und in der Auferstehung Christi gewirkten Erlösung (vgl. Mt 28,19; Mk 16,15). Sie findet ihre Weihe am Pfingsttag durch die Herabkunft des Heiligen Geistes auf die Apostel und die Gemeinde von Jerusalem, den Urkern der Kirche.
Von diesen Tagen an hat die Kirche das Bewusstsein der universalen Berufung der Menschen, zum Volk des Neuen Bundes zu gehören.
5. Gott hat die ganze Gemeinschaft derer, die zu Jesus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, zu seinem Volk zusammengerufen. Diese „versammelte Gemeinschaft” ist die Kirche, gestiftet, „damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei. Bestimmt zur Verbreitung über alle Länder, tritt sie in die menschliche Geschichte ein und übersteigt doch zugleich Zeiten und Grenzen der Völker” (Lumen Gentium, Nr. 9). Das Konzil lehrt weiter: „Wie aber schon das Israel dem Fleische nach auf seiner Wüstenwanderung Kirche Gottes genannt wird (2 Esr 13,1; vgl. Num 20,4; Dtn 23,1 ff.), so wird auch das neue Israel, das auf der Suche nach der kommenden und bleibenden Stadt (vgl. Hebr 13,14) in der gegenwärtigen Weltzeit einherzieht, Kirche Christi genannt (vgl. Mt 16,18). Er selbst hat sie ja mit seinem Blut erworben (vgl. Apg 20,28), mit seinem Geist erfüllt und mit geeigneten Mitteln sichtbarer und gesellschaftlicher Einheit ausgerüstet” (Lumen Gentium, Nr. 9).
6. Dieser Heilswille Gottes des Vaters ist Grund und Zweck des Wirkens, das die Kirche von Anfang an entwickelt, um ihrer Berufung als messianisches Volk des Neuen Bundes zu entsprechen, mit einer auf die Universalität ausgerichteten Dynamik, wie Jesus selbst es zeigt in dem Auftrag und dem Versprechen, das er dem Völkerapostel Paulus von Tarsus gibt: „Ich will dich vor dem Volk und den Heiden retten, zu denen ich dich sende, um ihnen die Augen zu öffnen. Denn sie sollen sich von der Finsternis zum Licht und von der Macht des Satans zu Gott bekehren und sollen durch den Glauben an mich die Vergebung der Sünden empfangen und mit den Geheiligten am Erbe teilhaben” (Apg 26,17–18).
7. Der Neue Bund, zu dem die Menschheit berufen ist, ist auch ein ewiger Bund (vgl. Hebr 13,20). Und deshalb ist das messianische Volk durch eine eschatologische Berufung gekennzeichnet. Dies wird uns in besonderer Weise im letzten Buch des Neuen Testaments, in der Offenbarung, bestätigt, die den universalen Charakter der Kirche hervorhebt, die sich über die Zeit und über diese hinaus in die Ewigkeit erstreckt. In der großen himmlischen Vision, die in der Offenbarung den an die sieben Kirchen gerichteten Briefen folgt, wird das Lamm feierlich gepriesen, weil es geschlachtet wurde und mit seinem Blut „Menschen aus allen Stämmen und Sprachen, Nationen und Völkern für Gott erworben und sie für unseren Gott zu Königen und Priestern gemacht hat” (vgl. Offb 5,9–10). In einer folgenden Vision sieht Johannes „eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen; niemand konnte sie zählen. Sie standen in weißen Gewändern vor dem Thron und vor dem Lamm” (Offb 7,9): Kirche auf Erden und Kirche im Himmel, Kirche der Apostel und ihrer Nachfolger und Kirche der Seligen, Kirche der Kinder Gottes in der Zeit und in der Ewigkeit: Es ist eine einzige Wirklichkeit des messianischen Volkes, die sich über alle Grenzen von Raum und Zeit hinaus ausdehnt, entsprechend dem göttlichen Heilsplan, der sich in der Katholizität widerspiegelt.
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Liebe Schwestern und Brüder!
Im Laufe unserer Katechesen über das Volk Gottes wenden wir uns heute dem Gedanken der Universalität der Kirche zu. Den Alten Bund hat Gott mit nur einem Volk, mit Israel, geschlossen. Und doch fehlt es nicht an alttestamentlichen Zeugnissen, die die zukünftige Universalität bereits andeuten. Denken wir nur an Abraham, dem Gott verheißt, dass durch ihn „alle Geschlechter der Erde Segen erlangen” sollen (Gen 12,3). Das Volk des Alten Bundes war gleichsam eine Vorbereitung auf das zukünftige Volk Gottes, das durch Christus seine volle Universalität erlangt hat, auch wenn nach seiner Auferstehung die Verkündigung der Frohen Botschaft zunächst Israel galt (vgl. Apg 2,36).
Jesus Christus also steht am Anfang des neuen Volkes. Schon in dem Neugeborenen konnte der greise Simeon das „Licht” erkennen, „das die Heiden erleuchtet” (Lk 2,32). In der Tat vermochte er allen Völkern den Weg zur Universalität des neuen Gottesvolkes zu erschließen, wie Paulus im Epheserbrief schreibt: „Er ist unser Friede. Er vereinigt die beiden Teile – Juden und Heiden – und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder” (2,14). Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil können wir sagen, dass die Kirche als messianisches Volk, obwohl sie oft nur eine kleine Herde ist und nicht alle Menschen umfasst, „für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils ist” (Lumen Gentium, Nr. 9).
Dieser Neue Bund, zu dem die ganze Menschheit berufen wird, ist ein ewiger. An das messianische Volk ist ein eschatologischer Ruf ergangen. Dies bezeugt in besonderer Weise die Apokalypse, die den universalen Charakter der Kirche und ihre Ausdehnung in der Zeit und über die Zeitlichkeit hinaus in die Ewigkeit hervorhebt. In einer großartigen himmlischen Vision sieht Johannes eine „große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen, Sprachen und Völkern” vor dem Thron Gottes und des Lammes stehen (Offb 7,9): die irdische und die himmlische Kirche, die Kirche der Apostel und ihrer Nachfolger, die Kirche der Heiligen und die Kirche der Kinder Gottes in Zeit und Ewigkeit: alles als eine einzige Wirklichkeit des messianischen Gottesvolkes, das sich über die Grenzen von Raum und Zeit hinaus erstreckt, gemäß dem göttlichen Heilsplan, der sich in der Katholizität widerspiegelt.
Mit dieser kurzen Betrachtung richte ich einen herzlichen Willkommensgruß an alle deutschsprachigen Pilger und Besucher. Mein besonderer Gruß gilt einer Gruppe von Priestern aus verschiedenen Pfarreien Deutschlands, den Teilnehmern der Studienreise der Katholischen Akademie Hamburg sowie den anwesenden Mitgliedern der Schönstattbewegung.
Euch allen, Euren lieben Angehörigen in der Heimat und all den Gläubigen, die uns über Radio und Fernsehen verbunden sind, erteile ich von Herzen meinen Apostolischen Segen.
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Liebe Gläubige von Kroatien, ich begrüße euch herzlich!
Die schmerzlichen Nachrichten, die täglich aus eurem Vaterland kommen, betrüben weiterhin tief mein Herz. Der Schrei des Schmerzes und der Angst, der aus Kroatien aufsteigt, kann und darf keinen Christen oder Menschen guten Willens gleichgültig lassen.
In den vergangenen Tagen fanden Angriffe von unerhörter Gewalt in ganz Kroatien, aber besonders gegen Dubrovnik und Vukovar, statt. In Dubrovnik wurden unter anderem Hotels und Krankenhäuser, überfüllt mit Flüchtlingen und Verwundeten, getroffen. Diese Angriffe müssen ein Ende haben!
Ich vereine meine Stimme der Verurteilung und Bitte zugleich mit der Stimme so vieler Menschen, die leiden und sterben, sowie mit der Stimme all derer in der Welt, die mit Schrecken die Grausamkeiten des Krieges in Kroatien missbilligen. Ich bitte das jugoslawische Bundesheer inständig, das Leben der wehrlosen Bürger zu schonen und die Zerstörungswut gegen Privatwohnungen und öffentliche Gebäude, manche von ihnen von unschätzbarem Kunstwert, zu zügeln.
Die internationale Gemeinschaft kann nicht akzeptieren, dass die Gewalt das Mittel wird, mit dem man Streitigkeiten unter den Völkern bewältigt; dass die Verhaltensgrundregeln, bekräftigt von internationalen Vereinbarungen und Konventionen, mit Füßen getreten werden. Einer solchen Tragödie, die Europa und die Welt entehrt, muss ein Ende gesetzt werden!
Gott, der Allmächtige, schenke allen seinen Frieden und seinen Segen.
Gelobt seien Jesus und Maria!
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