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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 10. August 1994

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1. In der christlichen Tradition widmete man seit Beginn besondere Aufmerksamkeit den Frauen, die ihren Mann verloren hatten und allein im Leben standen, oft notleidend und schutzlos. Schon im Alten Testament wurden die Witwen wegen ihrer Notlage oft erwähnt und der solidarischen Sorge der Gemeinschaft, vor allem der für das Gesetz Verantwortlichen, empfohlen (vgl. Ex 22,21; Dtn 10,18; 24,17; 26,12; 27,19).

Die Evangelien, die Apostelgeschichte und die Briefe der Apostel sind durchdrungen von der Liebe zu den Witwen. Jesus zeigt ihnen gegenüber wiederholt besondere Aufmerksamkeit. Er lobt z. B. öffentlich die kleine Spende, die eine arme Witwe für den Tempel gibt (vgl. Lk 21,3; Mk 12,43); beim Anblick der Witwe, die in Nain ihren toten Sohn zu Grabe begleitet, ist er von Mitleid bewegt; er tritt zu ihr hin und sagt liebevoll: „Weine nicht!“, und er gibt ihr ihren Jungen lebend zurück (vgl. Lk 7,11-15). Das Evangelium überliefert uns auch die Worte Jesu über die Notwendigkeit, „allezeit zu beten und darin nicht nachzulassen“, wobei er eine Witwe als Beispiel anführt, die mit ihren zudringlichen Bitten von dem ungerechten Richter erlangte, dass er ihr zu ihrem Recht verhalf (vgl. Lk 18,1-8); und auch die anderen Worte, mit denen Jesus unnachsichtig die Schriftgelehrten tadelt, die „die Witwen um ihre Häuser bringen“ und scheinheilig lange Gebete verrichten (vgl. Mk 12,40; Lk 20,47).

Diese Haltung Christi, die den echten Geist des Alten Bundes erfüllt, ist der Wurzelgrund, auf dem die pastoralen Empfehlungen des hl. Paulus und des hl. Jakobus über den geistlichen und karitativen Beistand für die Witwen gewachsen sind: „Ehre die Witwen“ (1 Tim 5,3); „Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, besteht darin: für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind …“ (Jak 1,27).

2. In der christlichen Gemeinde aber waren die Witwen nicht nur solche, denen Beistand geleistet wurde, sondern es kam ihnen auch eine aktive Funktion zu, gleichsam durch ihre besondere Anteilnahme an der allgemeinen Berufung der Jünger Christi zum Gebetsleben.

In der Tat wird aus dem Ersten Brief an Timotheus deutlich, dass den Frauen, die Witwen geworden waren, als eine grundlegende Aufgabe empfohlen wurde, „beharrlich und inständig zu beten bei Tag und Nacht“ (vgl. 5,5). Das Lukasevangelium stellt uns das Beispiel einer heiligen Witwe vor in der Person der „Hanna, einer Tochter Penuels“, die nach nur sieben Ehejahren Witwe geworden war. Der Evangelist sagt von ihr: „Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten“ (Lk 2,36-37). Sie hatte die große Freude, zur Stunde der Darstellung Jesu im Tempel anwesend zu sein. In ihrem Kummer dürfen und müssen die Witwen in ähnlicher Weise mit kostbaren Gnaden des geistlichen Lebens rechnen, und sie sind aufgerufen, ihnen hochherzig zu entsprechen.

3. Im pastoralen und geistlichen Rahmen des christlichen Gemeindelebens gab es auch ein „Verzeichnis“, in das die Witwe eingetragen werden konnte, wenn sie, um die Worte des oben zitierten Briefes an Timotheus zu gebrauchen, „mindestens sechzig Jahre alt (also schon eine ältere Frau) ist, nur einmal verheiratet war, wenn bekannt ist, dass sie Gutes getan hat, wenn sie Kinder aufgezogen hat, gastfreundlich gewesen ist und den Heiligen die Füße gewaschen hat (ein alter Ritus der Gastfreundschaft, den sich das Christentum zu eigen gemacht hatte), wenn sie denen, die in Not waren, geholfen hat und überhaupt bemüht war, Gutes zu tun …“ (1 Tim 5,9-10).

Die Urkirche liefert damit ein Beispiel der Solidarität und der Nächstenliebe (vgl. Apg 6,1), wie wir sie in vielen anderen Augenblicken der christlichen Geschichte wiederfinden, besonders dann, wenn aus sozialen oder politischen Gründen, durch Krieg oder Epidemien usw. die Zahl der Witwenschaften oder anderer Formen des Alleinstehens in besorgniserregendem Ausmaß anstieg. Die Nächstenliebe der Kirche konnte nicht untätig bleiben.

Heute gibt es viele andere Fälle von alleinstehenden Personen, denen gegenüber die Kirche sich nicht gleichgültig und tatenlos zeigen kann. Da sind vor allem die „getrennt Lebenden“ und die „Geschiedenen“. Ich habe ihnen im Apostolischen Schreiben Familiaris consortio besondere Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. Nr. 83). Ferner die „ledigen Mütter“, die besonderen Schwierigkeiten moralischer, wirtschaftlicher und sozialer Art ausgesetzt sind. All diesen Menschen möchte ich sagen, dass sie weiterhin zur Kirche gehören – welche auch immer ihre persönliche Verantwortung in dem Konflikt sein mag, in den sie verwickelt sind. Die Hirten nehmen Anteil an ihrer Prüfung und überlassen sie nicht sich selbst. Sie wollen das Mögliche tun, um ihnen zu helfen, sie zu unterstützen und sie spüren zu lassen, dass sie noch mit der Herde Christi verbunden sind.

Wenn die Kirche auch keine Praktiken zulassen kann, die im Gegensatz stehen zu dem, was die Wahrheit und das allgemeine Wohl der Familien und der Gesellschaft erfordern, so lässt sie doch nicht davon ab, alle zu lieben und zu verstehen, die in Schwierigkeiten sind. Sie steht ihnen weiterhin zur Seite. Besonders nahe fühlt sich die Kirche denen, die nach einer zerbrochenen Ehe treu bleiben und auf eine weitere Verbindung verzichten und sich, soweit sie können, der Erziehung ihrer Kinder widmen. Sie verdienen die Unterstützung und Ermutigung aller. Die Kirche und der Papst müssen ihnen ihr Lob aussprechen für das edle Zeugnis christlicher Treue, das sie hochherzig in der Prüfung leben.

4. Da aber die heutige Katechese wie auch die übrigen in dieser Reihe dem Apostolat der Laien in der Kirche gewidmet ist, möchte ich noch auf die vielen zu sprechen kommen, besonders auf die Witwen und Witwer, die, durch familiäre Verpflichtungen weniger in Anspruch genommen, sich christlichen Tätigkeiten in den Pfarreien oder Werken größeren Umfangs gewidmet haben. Ihr Leben wird so, als Frucht eines höheren Grades der Liebe, zu einer gesteigerten Teilnahme am kirchlichen Leben erhoben.

Für die Kirche und die Menschheit entspringt daraus der Segen einer hochherzigen Hingabe von Menschen, die so den Weg zu einer höheren Lebensqualität finden und sich im Dienst an den Brüdern und Schwestern selbst verwirklichen.

5. Zum Abschluss sei noch einmal unterstrichen, was wir in der Konstitution Lumen Gentium des II. Vatikanischen Konzils über das wohltätige Beispiel der Liebe lesen, das nicht nur christliche Eheleute und Eltern geben, sondern das „auf andere Weise von den Witwen und Unverheirateten gegeben“ wird, die „nicht wenig zur Heiligkeit und Wirksamkeit in der Kirche beitragen“ können (Nr. 41).

Was auch immer der Grund für ihren Lebensstand sein mag, viele von ihnen vermögen den höheren Plan der göttlichen Weisheit zu erkennen, der ihr Leben lenkt und es auf dem Weg des Kreuzes zur Heiligkeit führt, eines Kreuzes, das sich in ihren Lebensverhältnissen als besonders fruchtbar erweist.

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Liebe Schwestern und Brüder!

Die christliche Tradition hat seit den frühesten Zeiten den Witwen und Alleinstehenden in ihrem harten Los besondere Aufmerksamkeit gewidmet. So heißt es im ersten Brief an Timotheus: „Ehre die Witwen“ (5,3). Dabei galt es nicht nur, den Witwen beizustehen; sie selbst hatten auch Aufgaben in der Kirche, vor allem das unablässige Gebet.

Heute gibt es viele andere Fälle von alleinstehenden Personen, denen die Kirche ihre Fürsprache angedeihen lässt.

Es sind getrennt Lebende und Geschiedene, es sind aber auch ledige Mütter, die besonderen Schwierigkeiten moralischer, wirtschaftlicher und sozialer Art ausgesetzt sind. Unabhängig von ihrer persönlichen Verantwortung möchte ich all diesen Personen sagen, dass sie auch weiterhin zur Kirche gehören und die Seelsorger ihr Möglichstes tun, ihnen zu helfen und Mut zuzusprechen.

Mit diesen Gedanken grübe ich alle deutschsprachigen Pilger und Besucher sehr herzlich. Euch allen wünsche ich in diesen Ferientagen gute Erholung an Leib und Seele und erteile Euch, Euren lieben Angehörigen zu Hause sowie den mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbundenen Gläubigen meinen Apostolischen Segen.