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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 12. Mai 2004

 

Lesung: Psalm 30, 2–3.9.11–13

2 Ich will dich rühmen, Herr, / denn du hast mich aus der Tiefe gezogen und läßt meine Feinde nicht über mich triumphieren.
3 Herr, mein Gott, ich habe zu dir geschrien, und du hast mich geheilt.
9 Zu dir, Herr, rief ich um Hilfe, ich flehte meinen Herrn um Gnade an.
11 Höre mich, Herr, sei mir gnädig! Herr, sei du mein Helfer!
12 Da hast du mein Klagen in Tanzen verwandelt, hast mir das Trauergewand ausgezogen und mich mit Freude umgürtet.
13 Darum singt dir mein Herz und will nicht verstummen. Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit.

1. Eine tiefe und aufrichtige Dankbarkeit steigt zu Gott auf aus dem Herzen des Beters, nachdem sich in ihm der Alptraum des Todes verflüchtigt hat. Dieses Gefühl tritt eindrucksvoll im Psalm 30 zutage, der jetzt nicht nur in unseren Ohren, sondern zweifellos auch in unseren Herzen erklungen ist.

Dieses Danklied besitzt eine bemerkenswerte literarische Feinheit und stützt sich auf eine Reihe von Gegensätzen, die symbolisch die vom Herrn erlangte Befreiung zum Ausdruck bringen. Den »Todgeweihten« stehen jene gegenüber, die »herausgeholt [werden] aus dem Reich des Todes« (V. 4); Gottes »Zorn dauert nur einen Augenblick«, »doch seine Güte ein Leben lang« (V. 6); wer am Abend »weint«, kann am Morgen in »Jubel« ausbrechen (ebd.); dem »Klagen« folgt das »Tanzen«, dem »Trauergewand« das Kleid der »Freude« (V. 12).

Nachdem also die Nacht des Todes vorüber ist, bricht am Morgen der neue Tag an. Darum hat die christliche Tradition diesen Psalm als Osterlied verwendet. Das beweist auch der Vorspann, den die Ausgabe des liturgischen Textes der Vesper dem großen monastischen Schriftsteller des 4. Jahrhunderts, Johannes Cassiodor, entnimmt: »Nach seiner glorreichen Auferstehung sagt Christus dem Vater Dank.«

2. Der Beter wendet sich wiederholt an den »Herrn« – nicht weniger als acht Mal –, um zu sagen, daß er ihn lobpreisen will (vgl. V. 2 und 13); um an seinen Hilferuf in der Zeit der Prüfung (vgl. V. 3 und 9) und an Gottes befreiendes Eingreifen zu erinnern (vgl. V. 2.3.4.8.12); ferner, um erneut seine Barmherzigkeit anzurufen (vgl. V. 11). An anderer Stelle lädt der Beter die Gläubigen ein, dem Herrn zu singen und zu danken (vgl. V. 5).

Die Gefühle schwanken ständig zwischen der schrecklichen Erinnerung an den überstandenen Alptraum und der Freude über die Rettung. Die überstandene Gefahr ist sicher groß und läßt noch erschauern; das überstandene Leiden ist noch klar und lebendig im Gedächtnis; die Tränen wurden erst vor kurzem aus den Augen gewischt. Aber jetzt ist die Morgenröte eines neuen Tages aufgegangen; an die Stelle des Todes ist der Ausblick auf das Leben getreten, das weitergeht.

3. So zeigt der Psalm, daß wir uns nie im dunklen Knäuel der Verzweiflung verstricken dürfen, wenn alles verloren zu sein scheint. Gewiß, ebensowenig darf man sich der Illusion hingeben, sich allein, aus eigenen Kräften retten zu können. In der Tat wird der Psalmist vom Stolz und von der Überheblichkeit versucht: »Im sicheren Glück dachte ich einst: Ich werde niemals wanken« (V. 7).

Auch die Kirchenväter kommentierten diese Versuchung, die sich in der Zeit des Wohlergehens einschleicht, und sie sahen in der Prüfung eine göttliche Mahnung zur Demut. Das tut zum Beispiel Fulgentius, Bischof von Ruspe (467–532) in seinem Brief 3, der an die Klosterschwester Proba gerichtet ist, wenn er den Psalmvers mit folgenden Worten kommentiert: »Der Psalmist bekannte, daß er manchmal stolz auf seine Gesundheit war, als wäre sie eine Tugend von ihm, und daß er darin die Gefahr einer schweren Krankheit erkannt hatte. Denn er sagt: ›Im sicheren Glück dachte ich einst: Ich werde niemals wanken.‹ Und weil er durch diesen Ausspruch die Hilfe der Gnade Gottes verloren hatte und darüber erschrocken und erkrankt war, fährt er fort: ›Herr, in deiner Güte stelltest du mich auf den schützenden Berg. Doch dann hast du dein Gesicht verborgen. Da bin ich erschrocken.‹ Und um zu zeigen, daß die Hilfe der göttlichen Gnade, auch wenn man sie schon besitzt, immer noch demütig und ohne Unterbrechung zu erbitten ist, fügt er hinzu: ›Höre mich, Herr, sei mir gnädig! Herr, sei du mein Helfer!‹ Im übrigen betet niemand und trägt niemand sein Anliegen vor, ohne zuzugeben, daß er Fehler hat; ebensowenig meint er, das, was er besitzt, behalten zu können, indem er nur auf die eigenen Kräfte vertraut« (Fulgenzio di Ruspe, Le lettere, Roma 1999, S. 113).

4. Nachdem er von der Versuchung des Hochmuts in Zeiten des Wohlergehens berichtet hat, denkt der Psalmist an die nachfolgende Prüfung zurück, indem er zum Herrn spricht: »Doch dann hast du dein Gesicht verborgen. Da bin ich erschrocken.«

Der Beter erinnert nun daran, auf welche Weise er zum Herrn gebetet hat (vgl. V. 9–11): Er hat geschrien, um Hilfe gerufen und um Gnade gefleht, wobei er als Grund die Tatsache anführte, daß der Tod keinen Nutzen für Gott bringe, da die Toten nicht mehr fähig seien, Gott zu loben und keinen Grund mehr hätten, Gottes Treue zu verkünden, da sie von ihm verlassen worden seien.

Denselben Gedankengang finden wir in Psalm 87, in dem der Beter, dem Tod nahe, sich an Gott wendet: »Erzählt man im Grab von deiner Huld, von deiner Treue im Totenreich?« (Ps 88,12). Ähnlich König Hiskija, der von einer schweren Krankheit geheilt, zu Gott sagte: »Ja, in der Unterwelt dankt man dir nicht, die Toten loben dich nicht… Nur die Lebenden danken dir« (Jes 38,18–19).

So brachte das Alte Testament den sehnlichen Wunsch des Menschen nach dem Sieg Gottes über den Tod zum Ausdruck und zählte verschiedene Fälle auf, in denen dieser Sieg errungen worden war: Menschen, die vom Hungertod in der Wüste bedroht, Gefangene, die der Todesstrafe entflohen waren; geheilte Kranke, vor dem Schiffbruch gerettete Seeleute (vgl. Ps 107,4–32). Aber es handelte sich nicht um endgültige Siege. Früher oder später gewann immer der Tod die Oberhand.

Das Streben nach dem Sieg wurde dennoch, trotz allem, stets beibehalten und ist schließlich zur Hoffnung auf die Auferstehung geworden. Die Erfüllung dieses mächtigen Strebens wurde vollkommen zugesichert durch die Auferstehung Christi, für die wir Gott nicht genug danken können.


Gott rettet seine Getreuen aus jeder Not und Gefahr. Diese Erfahrung liegt dem alttestamentlichen Danklied in Psalm 30 zugrunde: „Ich habe zu dir geschrien, und du hast mich geheilt ... Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit" (Ps 30, 3.13).

Weder Verzweiflung angesichts drohenden Unheils noch die Illusion einer Rettung aus eigener Kraft dürfen uns überkommen. In Zeiten des Wohlergehens neigt der Mensch zur Überheblichkeit. Die Prüfungen des Lebens werden darum zu einem Anruf Gottes an unsere Demut. Als schwache Menschen bitten wir unablässig um seine Hilfe. Die Hoffnung auf Befreiung durch Gott im Alten Bund findet in Christus ihre Gewißheit: Seine Auferstehung ist der endgültige Sieg über den Tod.

***

Mit Freude heiße ich die deutschsprachigen Pilger und Besucher willkommen. Die Nacht des Todes ist vergangen. In Christus erstrahlt der Sieg des neuen Lebens. Seine Auferstehung ist der Grund unserer Hoffnung. Dankt Gott für seine große Gnade! Der Herr schenke euch seinen Frieden!

 



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