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JOHANNES PAUL II.

GEBETSVIGIL ZUM FEST DER ITALIENISCHEN FAMILIEN

Petersplatz
Samstag, 20. Oktober 2001

 

1. Liebe Familien dieser geliebten Nation! Jede einzelne von euch, die ihr hier in Rom zusammengekommen seid, um euren Glauben und eure Berufung zu stärken, grüße ich und schließe ich in meine Arme. Ferner heiße ich auch die aus verschiedenen Ländern Mittel-und Osteuropas kommenden Familien willkommen, denen ich soeben begegnet bin. Mein Gruß gilt auch dem Präsidenten der Italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Camillo Ruini, und allen anderen Kardinälen und Bischöfen in unserer Mitte sowie den Vertretern der Politik und der zivilen Autoritäten. 

Mit großer Zuneigung empfange ich alle, die sich auf diesem Platz, dem Zentrum der Weltkirche, versammelt haben. Die freudige Anwesenheit zahlreicher christlicher Familien läßt ihn heute abend zu einer Hauskirche werden. Ich danke euch für euren herzlichen Empfang: Es ist mir eine Freude, zu sehen, daß auch ihr mich ins Herz geschlossen habt. 

Dieses Treffen ist eine neue Etappe auf jenem Weg, der viele von euch und zahlreiche andere Familien aus aller Welt im vergangenen Jahr hier auf den Petersplatz zur Feier des Großen Jubiläums geführt hat. Wir sind hier, um diesen Weg fortzusetzen und den Blick erneut fest auf Jesus Christus, das Licht, zu richten, der »euch ruft, mit eurem Zeugnis die Wege der Menschheit im neuen Jahrtausend zu erleuchten!« (Ansprache bei der Gebetswache am 14. Oktober 2000 , Nr. 9; in O.R. dt., Nr. 43, 27. 10. 2001, S. 9). 

2. Das Thema dieses Treffens lautet: »An die Familie glauben – die Zukunft aufbauen.« Es ist ein anspruchsvolles Thema, das uns anspornt, über die Wahrheit von der Familie und zugleich über ihre Bedeutung für die Zukunft der Menschheit nachzudenken. Einige Fragen werden uns bei dieser Reflexion leiten: »Warum sollen wir an die Familie glauben?«, »An welche Familie sollen wir glauben?« und schließlich »Wer soll an die Familie glauben?« 

Um die erste Frage zu beantworten, müssen wir von einer ursprünglichen und grundlegenden Wahrheit ausgehen: Gott glaubt fest an die Familie. Seit den Ursprüngen der Schöpfung, »von Anfang an«, machte er durch die Erschaffung des Menschen nach seinem Bild und Gleichnis – als Mann und Frau – die Wirklichkeit der Liebe zwischen Mann und Frau zum Mittelpunkt seines Plans (vgl. Gen 1, 27). Die gesamte Heilsgeschichte ist ein leidenschaftlicher Dialog zwischen dem treu liebenden Gott, den die Propheten oft als Bräutigam und Gatten bezeichnen, und der auserwählten Gemeinde, der Braut, die häufig versucht ist, untreu zu werden, aber stets von ihrem Herrn erwartet, gesucht und geliebt wird (vgl. Jes 62, 4 –5; Hos 1 –3). So groß und stark ist das Vertrauen, das der Vater seiner Familie entgegenbringt, daß er – sich ihrer erinnernd – seinen Sohn, den Bräutigam, aussendet, um seine Braut, die Kirche, und in ihr jeden Menschen und jede Familie zu erlösen (vgl. Brief an die Familien, 18). 

Ja, liebe Familien, »der Bräutigam ist bei euch!« Aus dieser Gegenwart, die wir annehmen und der wir entsprechen sollen, entspringt jene besondere und außergewöhnliche sakramentale Kraft, die eure enge Lebensgemeinschaft zu einem wirksamen Zeichen der Liebe zwischen Christus und der Kirche werden läßt und die euch zu verantwortungsvollen Personen und Protagonisten des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens macht. 

3. Die Tatsache, daß Gott die Familie zum Fundament des menschlichen Zusammenlebens und zum Musterbeispiel des kirchlichen Lebens machte, verlangt von allen eine entschiedene und überzeugte Antwort. In meinem Apostolischen Schreiben Familiaris consortio, dessen 20jähriges Jubiläum wir nun feiern, schrieb ich: »Familie, werde, was du bist!« (vgl. 17). Heute füge ich hinzu: »Familie, glaube an das, was du bist!«. Glaube an deine Berufung, ein leuchtendes Zeichen der Liebe Gottes zu sein.

Dieses Treffen ermöglicht uns, Gott für jene Gaben zu danken, die er seiner Kirche und den Familien geschenkt hat, die sich in diesen Jahren die Lehren des Konzils und des Schreibens Familiaris consortio zu eigen gemacht haben. Ferner danken wir der Kirche in Italien und ihren Hirten für ihren entscheidenden Beitrag zur Reflexion über die Ehe und Familie durch die Ausarbeitung von wichtigen Dokumenten wie Evangelisierung und Ehesakrament, das bereits im Jahr 1975 eine wahre Wende in der Familienpastoral einleitete, und vor allem durch das im Juli 1993 veröffentlichte Direktorium der Familienpastoral

4. Die zweite Frage veranlaßt uns, über einen hochaktuellen Aspekt nachzudenken, denn heute existieren derart unterschiedliche Ansichten im Hinblick auf den Begriff Familie, daß der Eindruck entstehen könnte, es gäbe kein sie qualifizierendes und definierendes Kriterium mehr. Neben der religiösen Dimension der Familie gibt es auch eine soziale Komponente. Wert und Bedeutung der Familie sind auch unter diesem anderen Aspekt klar ersichtlich. Bedauerlicherweise werden wir heute zu Zeugen der Verbreitung verzerrter und überaus gefährlicher Sichtweisen, die von relativistischen Ideologien genährt und von den Medien mit Nachdruck propagiert werden. Doch für das Wohl des Staates und der Gesellschaft ist es von grundlegender Bedeutung, die auf der Ehe gründende Familie zu schützen. Hierbei ist unter »Ehe« jener Akt zu verstehen, der eine öffentlich zum Ausdruck gebrachte und geregelte gegenseitige Verpflichtung besiegelt, die Übernahme der vollen Verantwortung für andere und die Kinder, das Wahrnehmen von Rechten und Pflichten in jener Urzelle der Gesellschaft, auf der das Leben der Nation gründet.

Wenn wir nicht mehr davon überzeugt sind, daß die auf der Ehe gegründete Familie in keiner Weise mit anderen Formen affektiver Verbindungen gleichgestellt werden kann, dann ist die soziale Struktur selbst und ihr rechtliches Fundament bedroht. Die harmonische Entwicklung und der Fortschritt eines Volkes sind weitgehend von seiner Fähigkeit abhängig, in die Familie zu investieren und auf gesetzgebender, sozialer und kultureller Ebene die volle und wirksame Verwirklichung ihrer Funktionen und Aufgaben zu gewährleisten. 

Liebe Familien, in einem demokratischen System ist es von grundlegender Bedeutung, jene Argumente zum Ausdruck zu bringen, die die Verteidigung der auf der Ehe gegründeten Familie motivieren. Sie ist die wesentliche Quelle der Hoffnung für die Zukunft der Menschheit, was durch den zweiten Teil des für dieses Treffen gewählten Themas gut hervorgehoben wird. Unsere Hoffnung besteht somit darin, daß Einzelpersonen, Gemeinschaften und soziale Einrichtungen stets mehr und mehr an die auf der Ehe gegründete Familie als Gemeinschaft der Liebe und der wahren Solidarität glauben. 

5. Doch um voll Zuversicht in die Zukunft zu schauen, müssen notwendigerweise alle an die Familie glauben und die ihrem jeweiligen Aufgabenbereich entsprechende Verantwortung übernehmen. Damit kommen wir nun zur dritten Frage, die wir als Ausgangspunkt genommen hatten: »Wer muß an die Familie glauben?« Vor allem möchte ich hervorheben, daß die ersten Garanten des familiären Wohlergehens die Eheleute selbst sind, indem sie zum einen ihre täglichen Verpflichtungen, Freuden und Mühen verantwortungsvoll leben und sich zum anderen – durch Vereinigungen und kulturelle Initiativen – zum Sprecher von sozialen und gesetzgeberischen Instanzen machen, die auf die Unterstützung des Familienlebens hinwirken. Allgemein bekannt und geschätzt ist die in diesen Jahren geleistete Arbeit des »Forums der Familienverbände«, dem ich meine Anerkennung ausspreche für alles bisher Erreichte und für die Initiative »Family for Family«, durch die die solidarischen Beziehungen zwischen italienischen und osteuropäischen Familien gefestigt werden sollen. 

Ganz besondere Verantwortung lastet auf den Politikern und Regierenden, deren Aufgabe es ist, verfassungsmäßige Bestimmungen auszuführen und die wahren Anforderungen einer Bevölkerung anzuerkennen, die überwiegend aus Familien besteht, die ihre Gemeinschaft auf dem ehelichen Bund gegründet haben. Berechtigterweise erwarten sie legislative Maßnahmen, die sich an der Würde der menschlichen Person und der korrekten Anwendung des zwischen dem Staat und den Familien bestehenden Subsidiaritätsprinzips ausrichten; Maßnahmen, durch die wichtige und in vielerlei Hinsicht entscheidende Fragen für die Zukunft des Landes gelöst werden können.

6. Wichtig und dringend ist vor allem die volle Realisierung eines Schul-und Bildungssystems, dessen Mittelpunkt in der Familie und ihrer Entscheidungsfreiheit liegt. Es geht dabei nicht darum, wie einige fälschlicherweise behaupten, der staatlichen Schule zu nehmen, um der privaten Schule zu geben, sondern vielmehr um das Überwinden einer grundlegenden Ungerechtigkeit, die alle Familien benachteiligt, da sie ihnen eine effektive Handlungs-und Entscheidungsfreiheit verwehrt. Auf diese Weise bürdet man all jenen zusätzliche finanzielle Belastungen auf, die, ihrem Grundrecht entsprechend, über die Orientierung der Erziehungs-und Ausbildungsform der Kinder entscheiden und Schulen wählen möchten, die, obwohl sie nicht staatlich sind, dennoch einen öffentlichen Dienst leisten. 

Gesunde Umgebung reicher Werte Wünschenswert wäre auch eine nachhaltige Verbesserung sozialpolitischer Projekte, die der zentralen Rolle der Familie mehr und mehr Beachtung schenken sollten, um die Entscheidungen im Bereich des Wohnungsbaus, der Arbeitsplanung, der Gehaltseinstufung und der steuerlichen Kriterien ihren Anforderungen anzupassen. Ganz besondere Aufmerksamkeit erfordert ferner die berechtigte Sorge vieler Familien, die den zunehmenden Niedergang und die Verrohung der Kommunikationsmittel beklagen, die, durch die Übermittlung von Gewalt, Banalitäten und Pornographie, dem minderjährigen Publikum und seinen Rechten stets weniger Beachtung schenken. Weder die Institutionen noch die Gesellschaft dürfen die Familie sich selbst überlassen in ihren Bemühungen, den Kindern eine gesunde, positive Umgebung reicher menschlicher und religiöser Werte zu garantieren. 

7. Liebe Familien, verliert nicht den Mut angesichts dieser großen Herausforderungen, und fühlt euch nicht allein gelassen: Der Herr glaubt an euch; die Kirche steht an eurer Seite; voll Vertrauen schauen Menschen guten Willens auf euch! 

Ihr seid berufen, Protagonisten der Zukunft der Menschheit zu sein und das Angesicht dieses neuen Jahrtausends zu prägen. Bei dieser Aufgabe unterstütze und führe euch die Jungfrau Maria, unsere Mutter, die in einem besonders verehrten Bildnis hier in unserer Mitte zugegen ist. Der Muttergottes von Loreto, Königin der Familie, die in ihrem Heim in Nazaret zusammen mit ihrem Bräutigam Josef die Freuden und Mühen des Familienlebens erfahren hat, vertraue ich all eure Hoffnungen an und erflehe ihren himmlischen Schutz. Liebe Eheleute, der Herr bestärke euch in euren Aufgaben, die ihr am Tag der Hochzeit mit dem Eheversprechen übernommen habt. Der Papst und die Kirche beten für euch. Von ganzem Herzen spende ich euch und euren Kindern meinen Segen!



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