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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
BEI DER ABSCHLUSSZEREMONIE DER
INTERRELIGIÖSEN BEGEGNUNG AUF DEM PETERSPLATZ

am 28. Oktober

Verehrte Repräsentanten der Religionen, liebe Freunde!

1. In dem Frieden, den die Welt nicht geben kann, grüße ich Sie alle, die hier auf dem Petersplatz versammelt sind, um an der Schlußveranstaltung der Interreligiösen Begegnung teilzunehmen, die während der letzten Tage hier stattgefunden hat. In den Jahren meines Pontifikates hatte ich besonders während meiner Pastoralreisen in verschiedene Teile der Welt die große Freude, unzähligen Christen anderer Konfessionen und Zugehörigen nichtchristlicher Religionen zu begegnen. Heute wird diese Freude hier, nahe beim Grab des Apostels Petrus, erneuert, dessen Dienst in der Kirche weiterzuführen meine Aufgabe ist. Ich freue mich, Ihnen zu begegnen, und danke dem allmächtigen Gott, der uns den Wunsch nach gegenseitigem Verständnis und Freundschaft eingegeben hat.

Ich bin mir der Tatsache wohl bewußt, daß viele angesehene religiöse Führungskräfte von sehr weit angereist sind, um bei dieser Abschlußzeremonie der Interreligiösen Begegnung anwesend zu sein. Ich bin allen dankbar, die mitgeholfen haben, den Geist zu fördern, der dieses Treffen ermöglicht hat. Wir haben soeben die Botschaft vernommen, die Frucht Ihrer Überlegungen.

2. Stets war ich der Ansicht, daß Religionsführer eine lebenswichtige Rolle spielen, wenn es gilt, die Hoffnung auf Gerechtigkeit und Frieden zu hegen, ohne die es keine menschenwürdige Zukunft geben wird. Da die Welt ein zu Ende gehendes Jahrtausend und den Beginn eines neuen begeht, ist es angebracht, daß wir uns die Zeit nehmen, um Rückschau zu halten, damit wir über die gegenwärtige Situation Bilanz ziehen und gemeinsam voll Hoffnung der Zukunft entgegengehen können.

Ist es bei unserem Überblick über die Situation der Menschheit übertrieben, wenn wir von einer Krise der Zivilisation sprechen? Wir erleben große technische Fortschritte, die jedoch nicht immer von großem spirituellen und moralischen Fortschritt begleitet werden. Auch erleben wir eine wachsende Kluft zwischen Armen und Reichen sowohl was den einzelnen anbelangt als auch auf internationalem Niveau. Viele Menschen bringen große Opfer, um sich mit den Notleidenden, Hungernden oder Kranken solidarisch zu erweisen, aber es fehlt immer noch am kollektiven Willen, die skandalösen Ungleichheiten zu überwinden und neue Strukturen zu schaffen, die eine gerechte Verteilung der Ressourcen der Welt unter allen Völkern ermöglichen.

Dann sind da die vielen Konflikte, die ständig rund um den ganzen Erdball ausbrechen: Kriege zwischen Völkern, bewaffnete Auseinandersetzungen innerhalb der Nationen, Konflikte, die wie eiternde Geschwüre wuchern und nach einer Heilung schreien, die nicht einzutreten scheint. Unvermeidbar leiden die Schwächsten am meisten unter diesen Konflikten, besonders, wenn sie aus ihrer Heimat herausgerissen werden und gezwungen sind, zu fliehen.

3. Das ist sicherlich nicht die Art und Weise, wie die Menschheit leben soll. Ist es daher nicht richtig, zu sagen, daß es tatsächlich eine Krise der Zivilisation gibt, der nur durch eine neue Zivilisation der Liebe zu begegnen ist, gegründet auf den universalen Werten wie des Friedens, der Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit (vgl. Tertio millennio adveniente, 52)?

Es gibt Leute, die behaupten, daß die Religion ihren Teil zu diesem Problem beiträgt, indem sie der Menschheit den Weg zum wahren Frieden und Wohlstand versperrt. Als religiöse Menschen haben wir die Pflicht, zu zeigen, daß dies nicht der Fall ist.

Sich der Religion zu bedienen, um Gewaltanwendung zu unterstützen, ist Mißbrauch der Religion. Religion ist kein Vorwand für Konflikte und darf es auch nicht werden, besonders dann, wenn religiöse, kulturelle und ethnische Identität zusammenfallen. Religion und Frieden gehen Hand in Hand; Krieg im Namen der Religion zu führen ist ein eklatanter Widerspruch (vgl . Ansprache an die Teilnehmer der 6. Versammlung der Weltkonferenz über Religion und Frieden, 3. November 1994, 2). Religiöse Führer müssen klar und deutlich zeigen, daß sie wegen ihres religiösen Bekenntnisses dazu verpflichtet sind, den Frieden zu fördern.

Die Aufgabe, die sich uns also stellt, ist, eine Kultur des Dialogs zu fördern. Einzeln und gemeinsam müssen wir zeigen, daß religiöser Glaube zum Frieden inspiriert, zur Solidarität ermutigt, Gerechtigkeit fördert und Freiheit unterstützt.

Aber das Lehren allein genügt nicht, so unentbehrlich es auch sein mag. Es muß auch in die Tat umgesetzt werden. Mein verehrter Vorgänger, Papst Paul VI., erwähnte einmal, daß in unserer Zeit die Menschen eher den Zeugen als den Lehrern Aufmerksamkeit schenken und daß sie auf Lehrer hören, wenn diese auch gleichzeitig Zeugen sind (vgl. Evangelii nuntiandi, 41). Man denke nur an das unvergeßliche Zeugnis von Menschen wie Mahatma Gandhi oder Mutter Teresa von Kalkutta, um nur zwei Personen zu erwähnen, die einen solchen Einfluß auf die Welt hatten.

4. Ferner liegt die Kraft des Zeugnisses in der Tatsache, daß es gemeinsam geteilt wird. Es ist ein Zeichen der Hoffnung, daß sich in vielen Teilen der Welt interreligiöse Vereinigungen gebildet haben, um gemeinsames Überlegen und Handeln zu fördern. Mancherorts sind auch religiöse Führer vermittelnd zwischen Kriegsparteien eingeschritten. Anderswo ist man gemeinsam für den Schutz des ungeborenen Lebens eingetreten, hat die Rechte der Frauen und Kinder unterstützt und Unschuldige verteidigt. Ich bin überzeugt, daß das gewachsene Interesse am interreligiösen Dialog eines der Hoffnungszeichen in diesem ausgehenden Jahrhundert ist (vgl. TMA, 45). Doch ist es notwendig, noch weiter zu gehen. Größere gegenseitige Achtung und wachsendes Vertrauen müssen zu noch wirksamerem und koordinierterem Handeln zugunsten der Menschheitsfamilie führen. Lehre und Beispiel Jesu Christi – Sinn für universale Brüderlichkeit

Unsere Hoffnung entspringt nicht nur den Fähigkeiten des menschlichen Herzens und Geistes, sondern sie hat eine göttliche Dimension, und es ist gut, dies anzuerkennen. Die Christen unter uns glauben, daß diese Hoffnung eine Gabe des Heiligen Geistes ist, der uns aufträgt, unseren Horizont zu erweitern, über unsere persönlichen Bedürfnisse und die Bedürfnisse unserer jeweiligen Gemeinschaften hinauszublicken und die Einheit der ganzen Menschheitsfamilie ins Auge zu fassen.

Die Lehre und das Beispiel Jesu Christi haben den Christen einen klaren Sinn für die universale Brüderlichkeit unter allen Menschen gegeben. Das Bewußtsein, daß der Geist Gottes weht, wo er will (vgl. Joh 3,8), hält uns davon ab, übereilte und gefährliche Urteile zu treffen, weil es eine Wertschätzung für das weckt, was in den Herzen der anderen verborgen liegt. Das eröffnet uns den Weg zu Versöhnung, Harmonie und Frieden. Aus diesem spirituellen Bewußtsein entspringen Mitleid und Großzügigkeit, Demut und Maßhaltung, Mut und Beharrlichkeit. Das sind Eigenschaften, deren die Menschheit mehr denn je zu Beginn des neuen Jahrtausends bedarf.

5. Wie könnten wir Menschen aus vielen Ländern, die wir uns heute hier versammelt haben und viele Religionen der Welt vertreten, es versäumen, das Treffen von Assisi am Weltgebetstag für den Frieden vor dreizehn Jahren in Erinnerung zu rufen? Seitdem wurde der »Geist von Assisi« durch verschiedene Initiativen in den verschiedensten Teilen der Erde lebendig gehalten. Gestern haben diejenigen von Ihnen, die am Interreligiösen Treffen teilgenommen hatten, eine Fahrt nach Assisi gemacht, um den Jahrestag jener denkwürdigen Versammlung von 1986 zu begehen. Sie sind dorthin gefahren, um sich erneut vom Geist dieses Treffens und von der Gestalt des »Poverello di Dio«, des demütigen und heiteren hl. Franz von Assisi, inspirieren zu lassen. Lassen Sie mich an dieser Stelle das wiederholen, was ich damals zum Schluß dieses Fast- und Gebetstages sagte: »Die Tatsache selbst, daß wir von den verschiedenen Erdteilen nach Assisi gekommen sind, ist in sich ein Zeichen für diesen gemeinsamen Weg, den zu beschreiten die Menschheit berufen ist. Entweder lernen wir in Frieden und Harmonie miteinander zu gehen, oder wir werden vom Wege abgetrieben und zerstören uns selbst und die anderen.

Wir hoffen, daß die Pilgerreise nach Assisi uns erneut gelehrt hat, uns des gemeinsamen Ursprungs und des gemeinsamen Schicksals der Menschheit bewußt zu werden. Laßt uns darin eine Vorwegnahme dessen sehen, was Gott von der geschichtlichen Entwicklung der Menschheit gern verwirklicht sehen möchte: Eine brüderliche Wanderung, auf der wir uns gegenseitig begleiten zum transzendenten Ziel, das er uns gesetzt hat« (Ansprache zum Abschluß des Weltgebetstages der Religionen für den Frieden in Assisi am 27.10.1986, O. R. dt., Nr. 45, 7.11.1986).

Unsere Zusammenkunft heute, hier auf dem Petersplatz, ist ein weiterer Schritt auf dieser Reise. In all den vielen Sprachen des Gebets laßt uns den Geist Gottes bitten, daß er uns erleuchte, führe und uns Kraft gebe, auf daß wir als Männer und Frauen, die ihre Inspiration aus dem religiösen Glauben empfangen, zusammenarbeiten können, um die Zukunft der Menschheit in Harmonie, Gerechtigkeit, Frieden und Liebe aufzubauen.

 



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