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APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH KUBA, IN DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA
UND BESUCH DER VEREINTEN NATIONEN

(19.-28. SEPTEMBER 2015)

INTERRELIGIÖSE BEGEGNUNG AN DER GEDENKSTÄTTE "GROUND ZERO"

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

New York
Freitag, 25. September 2015

[Multimedia]


 

Unterschiedliche Gedanken und Gefühle steigen in mir auf, während ich hier am Ground Zero stehe, wo Tausende von Menschenleben in einem sinnlosen Zerstörungsakt hingerafft wurden. Hier ist die Trauer geradezu greifbar. Das Wasser, das wir in diese leere Grube fließen sehen, erinnert uns an all die Leben, die dahinsanken unter der Gewalt jener, die meinen, dass Zerstörung der einzige Weg zur Lösung von Konflikten sei. Es ist der lautlose Schrei derer, die Opfer einer Mentalität wurden, die nur Gewalt, Hass und Rache kennt – einer Mentalität, die nur Kummer, Leiden, Zerstörung und Tränen verursachen kann.

Das fließende Wasser ist auch ein Symbol für unsere Tränen. Tränen über so viel Zerstörung und Verderben in Vergangenheit und Gegenwart. Dies ist ein Ort, an dem wir Tränen vergießen und weinen aus einem Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber Unrecht,  gegenüber Brudermord und angesichts der Unfähigkeit, unsere Konflikte durch Dialog zu lösen. An diesem Ort betrauern wir den ungerechten und sinnlosen Verlust unschuldigen Lebens aufgrund des Unvermögens, Lösungen zu finden, die auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind. Dieses fließende Wasser erinnert uns an die Tränen von gestern und an die Tränen, die heute immer noch vergossen werden.

Vor wenigen Minuten habe ich einige Familien derer getroffen, die in ihrem Dienst der Ersten Hilfe umgekommen sind. In der Begegnung mit ihnen konnte ich wieder einmal feststellen, dass Zerstörung niemals unpersönlich, abstrakt oder bloß materiell ist, sondern vor allem ein Gesicht und eine Geschichte hat, ganz konkret ist, Namen besitzt. In diesen Angehörigen der Opfer kann man das Gesicht des Schmerzes sehen, eines Schmerzes, der uns immer noch berührt und der zum Himmel schreit.

Zugleich vermochten sie mir aber das andere Gesicht dieses Angriffs, das andere Gesicht ihrer Trauer zu zeigen: die Macht der Liebe und des Gedenkens. Ein Gedenken, das uns nicht der Leere überlässt. Rund um die „Fußabdrücke“ der Türme sind hier die Namen vieler geliebter Menschen eingraviert. So können wir sie sehen, sie berühren und sie für immer unvergessen bewahren.

Hier, inmitten von Schmerz und Trauer, wird uns auch die heroische Güte deutlich spürbar, zu der Menschen fähig sind – jene verborgene Kraft, auf die wir uns immer stützen müssen. In den Untiefen von Schmerz und Leid waren Sie Zeugen der Gipfel hingebungsvollen Dienens. Hände wurden gereicht, Leben hingegeben. In einer Metropole, die unpersönlich, anonym, als ein Ort großer Einsamkeit erscheinen könnte, vermochten die Menschen die mächtige Solidarität der gegenseitigen Hilfe, der Liebe und des persönlichen Opfers zu zeigen. In diesem Moment ging es nicht um Hautfarbe, Herkunft, Stadtviertel, Religion oder politische Option. Alles war eine Frage der Solidarität, der unmittelbaren Not, der Brüderlichkeit. Es war eine Frage der Menschlichkeit. Die Feuerwehrmänner von New York City kletterten in die zusammenbrechenden Türme, ohne auf ihr eigenes Leben zu achten. Viele kamen in diesem Dienst um, und mit ihrem Opfer ermöglichten sie zahlreichen anderen das Leben.

Dieser Ort des Todes wird auch zu einem Ort des Lebens, zu einem Ort geretteten Lebens, zu einem Hymnus auf den Triumph des Lebens über die Propheten von Zerstörung, über den Tod, auf den Triumph des Guten über das Böse, auf den Triumph der Versöhnung und der Einheit über Hass und Spaltung.

An diesem Ort der Trauer und des Gedenkens erfüllt es mich mit großer Hoffnung, dass ich die Gelegenheit habe, mit Führungspersönlichkeiten zusammenzutreffen, welche die vielen religiösen Traditionen vertreten, die das  Leben dieser großen Stadt bereichern. Ich vertraue darauf, dass unsere Gegenwart hier ein machtvolles Zeichen dafür ist, dass wir unseren gemeinsamen Wunsch bekräftigen möchten, eine Kraft der Versöhnung, eine Kraft des Friedens und der Gerechtigkeit zu sein in dieser Gemeinschaft und überall in unserer Welt. Bei all unseren Unterschieden und Meinungsverschiedenheiten ist es doch möglich, in einer Welt des Friedens zu leben. Gegenüber jedem Versuch der Uniformierung können und müssen wir uns aus den verschiedenen Sprachen, Kulturen und Religionen zusammenfinden und gegenüber allem, was dies zu verhindern sucht, unsere Stimme erheben. Gemeinsam sind wir heute aufgerufen, zu jedem Versuch, Uniformität aufzuzwingen, „Nein“ zu sagen und hingegen „Ja“ zu sagen zu einer akzeptierten und versöhnten Verschiedenheit.

Und dazu müssen wir unsere Gefühle des Hasses, der Vergeltung und der Verbitterung aus unseren Herzen verbannen. Und wir wissen, dass das nur möglich ist als ein Geschenk des Himmels. Hier an dieser Gedenkstätte möchte ich Ihnen allen vorschlagen, dass wir – jeder und jede in der eigenen Weise, aber gemeinsam – einen Moment im Schweigen und im Gebet verharren. Lassen Sie uns vom Himmel die Gabe erbitten, dass wir uns für die Sache des Friedens engagieren. Für den Frieden in unseren Häusern, unseren Familien, unseren Schulen und unseren Gemeinschaften. Frieden an all den Orten, wo der Krieg nie zu enden scheint. Frieden in den Gesichtern, die nichts anderes als Schmerz erfahren haben. Frieden überall in dieser weiten Welt, die Gott uns geschenkt hat als ein Haus von allen und für alle. Einfach FRIEDEN. Beten wir schweigend.

[ein Augenblick der Stille]

Auf diese Weise wird das Leben unserer Lieben nicht ein Leben sein, das eines Tages in Vergessenheit gerät, sondern es wird jedes Mal gegenwärtig werden, wenn wir uns bemühen, Propheten des Aufbauens, Propheten der Versöhnung, Propheten des Friedens zu sein.

 



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