ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE AMERIKANISCHEN BISCHÖFE DER KIRCHENPROVINZEN
PENNSYLVANIA UND NEW JERSEY ANLÄSSLICH IHRES
"AD-LIMINA"-BESUCHES
Samstag, 11. September 2004
Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!
1. Mit brüderlicher Zuneigung heiße ich euch, die Bischöfe aus dem kirchlichen Bezirk Pennsylvania und New Jersey, willkommen zu eurem Fünfjahresbesuch an den Gräbern der hll. Petrus und Paulus. Bei unseren diesjährigen Begegnungen »ad limina« habe ich euch und eure bischöflichen Mitbrüder aus den Vereinigten Staaten eingeladen, mit mir über die Bedeutung des Dienstamtes nachzudenken, das uns als »wahren und authentischen Lehrern des Glaubens, Priestern und Hirten« anvertraut wurde (Christus Dominus, 2). Unsere Betrachtungen gelten heute dem »munus regendi«, dem Leitungsamt, durch das die Nachfolger der Apostel vom Heiligen Geist als Hüter der Herde und Hirten der Kirche Gottes erwählt worden sind (vgl. Apg 20,28).
Wie die beständige Tradition der Kirche bezeugt, ist die apostolische Autorität eine Form des Dienstes am Leib Christi. Als solche kann sie nur von der sich selbst darbringenden Liebe des Herrn inspiriert und geformt werden. Der Herr kam zu uns als Diener (vgl. Mk 10,45) und, nachdem er sich erniedrigt und die Füße der Jünger gewaschen hatte, gebot er ihnen, das gleiche zu tun wie er (vgl. Joh 13,15).
Die Existenz eines eindeutigen Rechtes und der Pflicht zu leiten, die den Nachfolgern der Apostel übertragen wurden, ist wesentlicher Bestandteil des von Gott gewollten Aufbaus der Kirche (vgl. Lumen gentium, 18). Diese »sacra potestas«, die geistliche Vollmacht, die für den Aufbau des Leibes Christi verliehen wurde (vgl. Kor 10,8), ist als eine der hierarchischen Gaben (vgl. Lumen gentium, 4), die der Kirche von ihrem göttlichen Gründer geschenkt wurden, anzusehen und damit als ein grundlegendes Element dieser heiligen Tradition; sie enthält nämlich alles, was, angefangen bei den Aposteln, überliefert wurde als Instrument, um die Heiligkeit und den Glauben des Volkes Gottes zu bewahren und zu fördern (vgl. Dei Verbum, 8). Die Geschichte lehrt immer wieder, daß die entschiedene und kluge Ausübung dieser apostolischen Autorität vor allem in Krisenzeiten der Kirche ermöglicht hat, ihre Unversehrtheit, Unabhängigkeit und Treue zum Evangelium angesichts der von außen oder innen drohenden Gefahren zu bewahren.
2. Ausgehend von der umfangreichen Reflexion über das bischöfliche »munus regendi« während des Konzils und angesichts der Herausforderungen der Neuevangelisierung, hat die jüngste Bischofssynode auf der Notwendigkeit bestanden, ein tieferes und authentischeres »apostolisches « Verständnis des bischöflichen Amtes zu erlangen. Der Bischof ist vor allem Zeuge, Lehrer und Vorbild der Heiligkeit sowie kluger Verwalter der Güter der Kirche. Die heilige Vollmacht, die er zu Recht ausübt, soll in der moralischen Autorität einer Lebensführung wurzeln, die vollständig von seiner sakramentalen Teilhabe an der Weihe und Sendung Christi geprägt ist.
Denn »in allem, was der Bischof sagt und tut, muß die Autorität des Wortes und Handelns Christi offenbar werden« (Pastores gregis, 43). »Die Autorität des Bischofs kommt nicht in Äußerlichkeiten zur Geltung, sondern in der Vertiefung der theologischen, spirituellen und moralischen Bedeutung seines Amtes, das im Charisma der Apostolizität gründet« (ebd.). Die Bischöfe als Nachfolger der Apostel sollen nicht nur aufgrund der Autorität und der heiligen Vollmacht, sondern vor allem wegen ihres apostolischen Lebenszeugnisses geschätzt werden.
In unseren Beratungen zeigten sich viele von euch sehr besorgt wegen der Vertrauenskrise gegenüber der Leitung der Kirche, die durch die jüngsten Skandale sexuellen Mißbrauchs hervorgerufen wurde, wegen der allgemeinen Forderung nach Verantwortlichkeit in der Leitung der Kirche auf allen Ebenen und wegen der Beziehung zwischen Bischöfen, Klerus und Laien. Ich bin überzeugt, daß die Kirche heute – wie stets in schweren Zeiten ihrer Geschichte – die Mittel finden wird, sich durch die Weisheit, das Unterscheidungsvermögen und den Eifer von Bischöfen, die durch ihre Heiligkeit herausragen, wirklich zu erneuern. Heilige Reformer wie Gregor der Große, Karl Borromäus und Pius X. haben verstanden, daß die Kirche nur dann wirklich »re-formiert« wird, wenn sie sich auf ihre Anfänge zurückbesinnt in einer bewußten Wiederaneignung der apostolischen Tradition und einer reinigenden Neubewertung ihrer Institutionen im Licht des Evangeliums. Das wird in der gegenwärtigen Lage der Kirche in Amerika eine geistliche Unterscheidung und eine Kritik an gewissen Führungsstilen mit sich bringen, die im Namen einer durchaus berechtigten Sorge um eine gute »Verwaltung« und einen verantwortlichen Überblick Gefahr laufen können, den Hirten von den Gliedern seiner Herde zu distanzieren und sein Bild als ihr Vater und Bruder in Christus zu verdunkeln.
3. In dieser Hinsicht hat die Bischofssynode erkannt, daß es für jeden Bischof heute notwendig ist, »einen pastoralen Stil« zu entwickeln, »der der Mitarbeit aller immer offener gegenübersteht« (Pastores gregis, 44), und der auf einem klaren Verständnis der Beziehung zwischen dem Amtspriestertum und dem allgemeinen Priestertum der Getauften gründet (vgl. Lumen gentium, 10). Obwohl der Bischof selbst für die maßgebenden Entscheidungen verantwortlich ist, die er in der Ausübung seines pastoralen Leitungsamtes treffen muß, setzt die kirchliche Gemeinschaft »aber auch die Beteiligung aller Kategorien von Gläubigen voraus, sofern sie für das Wohl der Teilkirche, die sie selbst bilden, mitverantwortlich sind« (Pastores gregis, loc. cit.). In einer gesunden Ekklesiologie der Gemeinschaft darf die Verpflichtung, bessere Strukturen der Mitwirkung, Beratung und Mitverantwortung zu schaffen, nicht mißverstanden werden als ein Zugeständnis an ein weltliches »demokratisches« Leitungsmodell, sondern als ein wesenseigenes Erfordernis der Ausübung der bischöflichen Autorität und ein notwendiges Mittel, um diese Autorität zu festigen.
4. Die Ausübung des »munus regendi« will einerseits die Herde in der sichtbaren Einheit des einen Glaubensbekenntnisses sammeln, das in der sakramentalen Gemeinschaft der Kirche gelebt wird, anderseits diese Herde in der Vielfalt ihrer Gaben und ihrer Berufungen zu einem gemeinsamen Ziel führen, zur Verkündigung des Evangeliums bis an die Enden der Erde. Folglich muß jeder kirchliche Leitungsakt auf die Festigung der Gemeinschaft und Sendung abzielen. Im Hinblick auf ihr gemeinsames Ziel und ihren gemeinsamen Zweck sind die drei »munera« Lehren, Heiligen und Leiten offensichtlich untrennbar miteinander verbunden und durchdringen einander: »Wenn der Bischof das Volk Gottes lehrt, heiligt und leitet er es gleichzeitig; während er heiligt, lehrt und leitet er auch; wenn er leitet, lehrt und heiligt er« (Pastores gregis, 9; vgl. Lumen gentium, 20, 27).
Die Erfahrung lehrt, daß, wenn man vor allem der äußeren Stabilität den Vorrang gibt, der Impuls zur persönlichen Umkehr, die kirchliche Erneuerung und der Missionseifer verloren gehen können und ein falsches Gefühl der Sicherheit entstehen kann. Die schmerzliche Zeit der Selbstprüfung, die durch die Ereignisse der vergangenen zwei Jahre entstanden ist, wird nur dann geistliche Frucht bringen, wenn sie die ganze katholische Gemeinschaft in Amerika zu einem tieferen Verständnis der wahren Natur und Sendung der Kirche führt und zu einem verstärkten Bemühen, dahin zu wirken, daß die Kirche in eurem Land in jedem Aspekt ihres Lebens das Licht der Gnade und die Wahrheit Christi widerspiegelt. Hier kann ich noch einmal meine tiefe Überzeugung bekräftigen, daß die Dokumente des II. Vatikanischen Konzils aufmerksam studiert und von allen Gläubigen zu Herzen genommen werden sollen. Denn diese maßgeblichen Texte des Lehramtes bilden die Grundlage einer wahren kirchlichen Erneuerung im Gehorsam gegenüber dem Willen Christi und gemäß der apostolischen Tradition der Kirche (vgl. Novo Millennio ineunte, 57).
5. Liebe Brüder, während ihr die eurer Hirtensorge anvertrauten Teilkirchen leitet, möget ihr täglich Trost, Stütze und Kraft im Klerus, in den Ordensleuten und in den Laien finden, denen ihr dient. Das Dienstamt, zu dem ihr berufen seid, ist anspruchsvoll und auch belastend, aber es ist auch Quelle einer überaus tiefen geistlichen Freude, und es ist ein unerläßlicher Dienst am Wachstum der Jünger Christi im Glauben, in der Hoffnung und Liebe. Mit tiefer Zuneigung vertraue ich euch alle der Fürbitte Marias, der Mutter der Kirche, an und erteile euch von Herzen als Unterpfand der Freude und des Friedens im Herrn meinen Apostolischen Segen.
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