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JOHANNES PAUL II.

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 14. November 200
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(Lesung: Ps 9, 45-152).

1. Am Samstag der ersten Woche stellt uns die Liturgie der Laudes eine einzige Strophe aus dem Psalm 9 vor, ein monumentales Gebet von 22 Strophen, so viele wie das hebräische Alphabet Buchstaben hat. Jede Strophe ist durch einen bestimmten Buchstaben des Alphabets gekennzeichnet, mit dem auch ihre einzelnen Verse beginnen, und die Anordnung der Strophen folgt der des Alphabets. Wir haben soeben die 9. Strophe gehört, die dem Buchstaben qof entspricht.

Diese Vorbemerkung, die sich eher auf äußerliche Aspekte bezieht, ermöglicht uns, die Bedeutung dieses Gesangs zu Ehren des göttlichen Gesetzes besser zu verstehen. Er ähnelt einer orientalischen Musik, deren Klangmodulationen nie zu enden scheinen und sich zum Himmel erheben in Form einer Wiederholung, die Verstand und Sinne, Geist und Körper des Betenden einbezieht. 

2. In einer Sequenz von ’alef bis tau , also vom ersten bis zum letzten Buchstaben des Alphabets – von A bis Z, - würden wir mit dem italienischen Alphabet sagen –, lobt der Beter eingehend das Gesetz Gottes, das ihm eine Leuchte ist für seine Schritte auf dem oft dunklen Weg des Lebens (vgl. V. 105). 

Man sagt, der große Philosoph und Wissenschaftler Blaise Pascal habe diesen Psalm, den längsten von allen, jeden Tag gebetet. Auch der 1945 von den Nazis ermordete Theologe Dietrich Bonhoeffer macht ihn zu einem lebendigen und aktuellen Gebet, wenn er schreibt: »Besonders schwer wird uns vielleicht der 9. Psalm um seiner Länge und Gleichmäßigkeit willen. Hier hilft uns ein langsames, stilles, geduldiges Fortschreiten von Wort zu Wort, von Satz zu Satz. Dann erkennen wir, daß die scheinbaren Wiederholungen doch immer neue Wendungen der einen Sache sind, der Liebe zu Gottes Wort. Wie diese Liebe kein Ende nehmen kann, so auch die Worte nicht, die sie bekennen. Sie wollen uns durch ein ganzes Leben begleiten, und in ihrer Einfachheit werden sie zum Gebet des Kindes, des Mannes und des Greises« (Dietrich Bonhoeffer, Das Gebetbuch der Bibel; in: Gesammelte Schriften, Bd. IV, S. 555). 

3. Die Wiederholung unterstützt also nicht nur das Gedächtnis beim Chorgesang, sondern sie ist auch ein Mittel zur Festigung der inneren Treue und der vertrauensvollen Hingabe in die Arme des verehrten und geliebten Gottes. Unter den Wiederholungen des Psalms 9 möchten wir vor allem eine besonders bedeutsame nennen. Jeder der 76 Verse, aus denen dieses Lob auf die Torah als göttliches Gesetz und Wort besteht, enthält wenigstens eines der acht Worte, mit denen die Torah bezeichnet wird: Gesetz, Wort, Urteil, Weisung, Gebot, Vorschrift, Befehl, Spruch. So wird die göttliche Offenbarung gepriesen; sie ist Enthüllung des Geheimnisses Gottes, aber auch sittliche Richtschnur für das Leben des Gläubigen. 

Gott und Mensch werden auf diese Weise in einem Dialog aus Worten und Werken, Lehre und Zuhören, Wahrheit und Leben verbunden. 

4. Kommen wir nun zu unserer Strophe (vgl. V. 45 –152), die der Atmosphäre der morgendlichen Laudes gut entspricht. Im Mittelpunkt der acht Verse steht nämlich eine nächtliche Szene, die sich aber auf den neuen Tag hin öffnet. Nach einer langen Nacht des Wartens und der Gebetswache im Tempel, wenn die Morgenröte sich am Horizont abzeichnet und die Liturgie beginnt, ist der Gläubige sicher, daß der Herr diejenigen erhören wird, die die Nacht betend, hoffend und über das Gotteswort meditierend verbracht haben. Von dieser Gewißheit gestärkt, wird er zu Beginn des sich vor ihm eröffnenden Tages die Gefahren nicht mehr fürchten. Er weiß, daß seine Verfolger, die sich ihm tückisch nähern (vgl. V. 50), ihn nicht übermannen werden, weil der Herr an seiner Seite ist. 

5. In dieser Strophe lesen wir ein eindringliches Gebet: »Erhöre mich, Herr, ich rufe von ganzem Herzen […] Schon beim Morgengrauen komme ich und flehe; ich warte auf dein Wort« (V. 45. 47). Im Buch der Klagelieder finden wir diese Aufforderung: »Steh auf, klage bei Nacht, zu jeder Nachtwache Anfang! Schütte aus wie Wasser dein Herz vor dem Angesicht des Herrn! Erhebe zu ihm die Hände« (Klgl 2, 9). Der hl. Ambrosius betonte: »Weißt du nicht, Mensch, daß du die Erstlingsfrüchte deines Herzens und deiner Stimme jeden Tag Gott darbringen mußt? Beeile dich bei Tagesanbruch, um die Erstlingsfrüchte deiner Frömmigkeit in die Kirche zu tragen « (vgl. Exp. in Ps CXVIII:PL 15, 14 76A). 

Gleichzeitig hebt unsere Strophe auch mit Nachdruck die Gewißheit hervor: Wir sind nicht allein, weil Gott hört und eingreift. Der Betende spricht: »Du bist nahe, Herr« (V. 5 ), und dies bestätigen weitere Psalmen: »Sei mir nah, und erlöse mich! Befrei mich meinen Feinden zum Trotz!« (Ps 69, 9). »Nahe ist der Herr den zerbrochenen Herzen, er hilft denen auf, die zerknirscht sind« (Ps 34, 9).


Liebe Schwestern und Brüder!

Der Mensch von heute hat Hunger: nicht nur nach dem täglichen Brot, sondern vor allem nach dem täglichen Wort. Der Psalm, den wir gehört haben, stillt den Hunger nach einem Wort, das Zuspruch und zugleich Anspruch ist. 

Wir haben ein Loblied gehört auf Gottes Wort. Gerade für den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer war dieser Psalm sehr wichtig. In der Wortlosigkeit des Gefängnisses hat er gespürt, daß Gottes Wort ihm nahe ist. So wurde für ihn die Liebe zu Gott immer mehr zur Liebe zu Seinem Wort: "Wie diese Liebe kein Ende haben kann, so finden auch die Worte kein Ende, die sie bekennen". 

Der Psalm spricht uns auch heute an. Gottes Wort hält, auch wenn Worte der Menschen brechen. Gottes Wort trägt, selbst wenn sich die menschlichen Versprechen als Versprecher entpuppen. Daher machen wir uns die Bitte zu eigen: "Schon beim Morgengrauen komme ich und flehe. Ich warte auf dein Wort". 

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Das Wort Gottes ist auch uns Stütze und Halt. Mit dieser Zuversicht grüße ich die Pilger und Besucher aus den Ländern deutscher Sprache. Besonders grüße ich den Initiativkreis Ansgarjahr, der aus dem hohen Norden Deutschlands in den Süden nach Rom gepilgert ist. Gern erteile ich euch, euren Lieben daheim und allen, die mit uns über Radio Vatikan und das Fernsehen verbunden sind, den Apostolischen Segen.

 



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