EVANGELII GAUDIUM - page 63

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zu suchen. Es ist das, was der Herr den Pharisäern vorwarf: » Wie könnt
ihr zum Glauben kommen, wenn ihr eure Ehre voneinander empfangt,
nicht aber die Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt? « (
Joh
5,44). Es
handelt sich um eine subtile Art, » den eigenen Vorteil, nicht die Sache
Jesu Christi « zu suchen (
Phil
2,21). Sie nimmt viele Formen an, je nach
dem Naturell des Menschen und der Lage, in die sie eindringt. Da sie an
die Suche des Anscheins gebunden ist, geht sie nicht immer mit
öffentlichen Sünden einher, und äußerlich erscheint alles korrekt. Doch
wenn diese Mentalität auf die Kirche übergreifen würde, » wäre das
unendlich viel verheerender als jede andere bloß moralische
Weltlichkeit «.
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94. Diese Weltlichkeit kann besonders aus zwei zutiefst miteinander
verbundenen Quellen gespeist werden. Die eine ist die Faszination des
Gnostizismus, eines im Subjektivismus eingeschlossenen Glaubens, bei
dem einzig eine bestimmte Erfahrung oder eine Reihe von Argumentationen
und Kenntnissen interessiert, von denen man meint, sie könnten Trost und
Licht bringen, wo aber das Subjekt letztlich in der Immanenz seiner
eigenen Vernunft oder seiner Gefühle eingeschlossen bleibt. Die andere ist
der selbstbezogene und prometheische Neu-Pelagianismus derer, die sich
letztlich einzig auf die eigenen Kräfte verlassen und sich den anderen
überlegen fühlen, weil sie bestimmte Normen einhalten oder weil sie einem
gewissen katholischen Stil der Vergangenheit unerschütterlich treu sind.
Es ist eine vermeintliche doktrinelle oder disziplinarische Sicherheit, die
Anlass gibt zu einem narzisstischen und autoritären Elitebewusstsein, wo
man, anstatt die anderen zu evangelisieren, sie analysiert und bewertet
und, anstatt den Zugang zur Gnade zu erleichtern, die Energien im
Kontrollieren verbraucht. In beiden Fällen existiert weder für Jesus
Christus noch für die Menschen ein wirkliches Interesse. Es sind
Erscheinungen eines anthropozentrischen Immanentismus. Es ist nicht
71
H
ENRY
D
E
L
UBAC
,
Méditation sur l’Église
, Paris 1953. Éditions Montaigne, Lyon 1968, S.321.
1...,53,54,55,56,57,58,59,60,61,62 64,65,66,67,68,69,70,71,72,73,...185
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