Lumen Fidei - page 29

29
der Spiegel, in dem er die Verwirklichung des ei-
genen Bildes entdeckt. Und wie Christus in sich
alle Gläubigen umfasst, die seinen Leib bilden,
begreift der Christ sich selbst in diesem Leib, in
ursprünglicher Beziehung zu Christus und zu
seinen Brüdern und Schwestern im Glauben.
Das Bild des Leibes will den Gläubigen nicht auf
einen bloßen Teil eines anonymen Ganzen redu-
zieren, auf ein einfaches Rädchen in einem gro-
ßen Getriebe, sondern will vielmehr die lebendi-
ge Einheit Christi mit den Gläubigen und aller
Gläubigen untereinander unterstreichen. Die
Christen sind „einer“ (vgl.
Gal
3,28), ohne ihre
Individualität zu verlieren, und im Dienst an den
anderen gewinnt jeder sein eigenes Sein bis ins
Letzte. Dann versteht man auch, warum außer-
halb dieses Leibes, außerhalb dieser Einheit der
Kirche in Christus — dieser Kirche, die nach den
Worten Romano Guardinis die »geschichtliche
Trägerin des vollen Blicks Christi auf die Welt«
16
ist — der Glaube sein „Maß“ verliert, nicht mehr
sein Gleichgewicht findet, den nötigen Raum, um
sich zu stützen. Der Glaube hat eine notwendig
kirchliche Gestalt; er wird vom Innern des Leibes
Christi aus bekannt, als konkrete Gemeinsamkeit
der Gläubigen. Von diesem kirchlichen Ort her
macht er den einzelnen Christen offen für alle
Menschen. Das einmal gehörte Wort Christi ver-
wandelt sich durch seine Eigendynamik im Chris-
16
Vom Wesen katholischer Weltanschauung
(1923), in:
Un-
terscheidung des Christlichen. Gesammelte Studien 1923-1963
, Mainz
1963
2
, 24.
1...,19,20,21,22,23,24,25,26,27,28 30,31,32,33,34,35,36,37,38,39,...96
Powered by FlippingBook