EVANGELII GAUDIUM - page 95

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versucht, was die Botschaft eines Textes ist, übt er den »Dienst der
Wahrheit«
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aus. Es ist die Demut des Herzens, die anerkennt, dass das
Wort Gottes uns immer übersteigt, dass wir » weder ihre Besitzer noch ihre
Herren sind, sondern nur ihre Hüter, ihre Herolde, ihre Diener
114
. Diese
Haltung einer demütigen und staunenden Verehrung des Wortes Gottes
äußert sich darin, dabei zu verweilen, es sehr sorgfältig zu studieren und
mit einer heiligen Furcht davor, es zu manipulieren. Um einen biblischen
Text auslegen zu können, braucht es Geduld, muss man alle Unruhe
ablegen und Zeit, Interesse und
unentgeltliche
Hingabe einsetzen. Man
muss jegliche Besorgnis, die einen bedrängt, beiseite schieben, um in ein
anderes Umfeld gelassener Aufmerksamkeit einzutreten. Es ist nicht der
Mühe wert, einen biblischen Text zu lesen, wenn man schnelle, einfache
oder unmittelbare Ergebnisse erzielen will. Deshalb erfordert die
Vorbereitung auf die Predigt Liebe. Einzig den Dingen oder Personen, die
man liebt, widmet man eine Zeit, ohne Gegenleistung zu erwarten und
ohne Eile; und hier geht es darum, Gott zu lieben, der
sprechen
wollte. Von
dieser Liebe her kann man die ganze Zeit, die nötig ist, in der Haltung des
Jüngers verweilen: »Rede, Herr; denn dein Diener hört« (
1 Sam
3,9).
147. Vor allem muss man sicher sein, die Bedeutung der
Worte
, die wir
lesen, entsprechend zu verstehen. Ich möchte etwas betonen, das
offenkundig scheint, aber nicht immer berücksichtigt wird: Der biblische
Text, den wir studieren, ist zwei- oder dreitausend Jahre alt, seine Sprache
ist ganz verschieden von der, die wir heute benutzen. So sehr es uns auch
scheinen mag, die Worte zu verstehen, die in unsere Sprache übersetzt
sind, bedeutet das nicht, dass wir auch richtig verstehen, was der heilige
Verfasser ausdrücken wollte. Die verschiedenen Mittel, die die literarische
Analyse bietet, sind bekannt: auf die Worte achten, die sich wiederholen
oder die hervorstechen, die Struktur und die eigene Dynamik eines Textes
113
P
AUL
VI., Apostolisches Schreiben
Evangelii nuntiandi
(8. Dezember 1975), 78:
AAS
68 (1976),
71.
114
Ebd.
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