Lumen Fidei - page 48

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Ganzen — und nicht nur der Fragmente der Ge-
schichte — bestehen und wird sich am Ende er-
füllen, wenn der Mensch, wie der heilige Bischof
von Hippo sagt, schauen und lieben wird.
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Und
das nicht etwa, weil er fähig sein wird, das gan-
ze Licht zu besitzen, das immer unerschöpflich
bleiben wird, sondern weil er ganz und gar in das
Licht eingehen wird.
34. Das dem Glauben eigene Licht der Liebe
kann die Fragen unserer Zeit über die Wahrheit
erhellen. Heute wird die Wahrheit oft auf eine
subjektive Authentizität des Einzelnen reduziert,
die nur für das individuelle Leben gilt. Eine allge-
meine Wahrheit macht uns Angst, weil wir sie mit
dem unnachgiebigen Zwang der Totalitarismen
identifizieren. Wenn es sich aber bei der Wahr-
heit um die Wahrheit der Liebe handelt, wenn
es die Wahrheit ist, die sich in der persönlichen
Begegnung mit
dem
Anderen und den anderen
erschließt, dann ist sie aus der Verschlossenheit
in den Einzelnen befreit und kann Teil des Ge-
meinwohls sein. Da sie die Wahrheit einer Liebe
ist, ist sie nicht eine Wahrheit, die sich mit Gewalt
durchsetzt, eine Wahrheit, die den Einzelnen er-
drückt. Da sie aus der Liebe hervorgeht, kann sie
das Herz, die persönliche Mitte jedes Menschen
erreichen. So wird deutlich, dass der Glaube
nicht unnachgiebig ist, sondern im Miteinander
wächst, das den anderen respektiert. Der Gläu-
bige ist nicht arrogant; im Gegenteil, die Wahr-
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 Vgl.
De civitate Dei
XXII, 30, 5:
PL
41, 804.
1...,38,39,40,41,42,43,44,45,46,47 49,50,51,52,53,54,55,56,57,58,...96
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